Noch ungleichwertig: Musik und Tanz
In Rostock zeigt Bronislav Roznos seine „1st Danceworks with Orchestra“
Am Volkstheater Rostock zeigt Bronislav Roznos zum Abschied vier „Stories4love“
Möglicherweise erfüllte sich Bronislav Roznos mit der letzten Produktion für Rostock ja einen Herzenswunsch. „Stories4Love“ heißt sie im Untertitel und porträtiert vier verschiedene, nach wie vor als delikat empfundene Formen von Beziehungen. Ob man zusätzlich noch im Haupttitel von „Widernatürliche Liaison?“ sprechen muss, scheint überflüssig: Das Fragezeichen jedenfalls rettet nichts, verschreckt eher, als dass es werbewirksam wäre.
Dabei ist sehenswert, was Roznos als Panoptikum nicht mit der gesellschaftlichen Norm konformen Liebens auffährt. Anregen ließ er sich hierzu von Leben und Kunst, wobei das eine vom anderen bisweilen nicht zu trennen ist. Seine vier Miniaturen platziert er auf leerer Bühne im Großen Haus, lässt sie aus leuchtend blauem Licht hinter einer Gaze entstehen. Einziges Requisit bleibt ein mehrteiliges rotes Sofa, das allen Episoden kalkuliert als Möbel dient. Zudem gliedert Ausstatter Robert Schrag allein mit Zügen den Raum, ob zum Hindernisparcours, zum Klettergerüst, zum schrägen Plafond.
Was Thomas Mann in „Der Tod in Venedig“ verarbeitet, soll dem eigenen Erleben entspringen. Roznos abstrahiert die Story noch einmal. Kein Schriftsteller leidet unter Schaffensblockade. Vielmehr scheint im Gym zu spielen, was den Mann so erregt: Vom Sofa aus beobachtet er einen Jungen, der selbstverliebt seinen Körper in immer anderen physischen Abfolgen stählt, dabei die Bewunderung des Mannes genießt, sich indes zu entziehen weiß. Wie eine Bedrohung hängen die Züge gestaffelt über der Szene, lasziv fast reckt, räkelt sich der Junge auf ihnen, hechtet über den Boden, legt mehr und mehr Kleidung ab, fühlend, dass der Mann in seinem Gehemmtsein ihm kaum gefährlich werden kann.
Obwohl mehrmals weitere Tänzer die Bühne füllen, geschieht das ohne Funktion. Der Brennpunkt liegt auf dem ungleichen Doppel, das kein Paar werden kann, wie sehr sich der Mann erst auf dem Sofa, dann im Raum quält und windet. Durch sportiven Tanz ist der Junge fixiert; der Mann eifert den Bewegungen nach, wird zur Tanzmarionette, bleibt ohnmächtig zurück, als der Junge das Studio blicklos verlässt.
Choreografisch besser durchgestaltet ist „Lolita“, eignet sich dafür vielleicht auch mehr. Unter dem Plafond der Züge tanzt zur Disco-Musik von Rihanna das Girl, erst sich selbst zum Spaß, dann für einen Mann, der ihre Aufmerksamkeit erregt. Ob sie den zunächst Widerstrebenden aus Berechnung oder Naturkindlichkeit „erlegt“, spielt nicht die Rolle. Was sich daraus entwickelt, schon eher: Ihre erotischen Avancen, die Beine um seinen Kopf geschlungen, ziehen ihn in einen Strudel, auf den er mit Liebe reagiert, sie bald mit Langeweile, Hinwendung zu einem Anderen. Aus Erfüllung wird so die Gewalt eines Verfallenen. Den Konkurrenten mag er zu Fall bringen, das Mädchen hat er verloren. Hung-Wen Chen, so gertenschlank wie aufsässig, ist die perfekte Lolita, gegen die der Alternde des Krzysztof Gradzki keinerlei Schutzmechanismus hat.
Ludovico Einaudi, dessen sanfte Klänge schon „Tod in Venedig“ begleiteten, ist musikalische Folie auch für „Michelangelo“. Freilich ist der Titel hochgegriffen: Lediglich um eine Seite seiner Persönlichkeit geht es hier, die wahrscheinliche Liebe zu seinem Schüler Tommaso, wie er sie in Sonetten besingt. Als Malertitan stößt Roznos selbst auf den Knaben im knappen Slip.
Der Künstler, zwischen den Zügen turnend wie über Hindernisse, nähert sich ihm, geht eine Beziehung zu ihm ein, die sich auch als Kampf des formenden Bildners mit seinem geliebten Material deuten lässt. Bald renkt er ihn beinah aus, bald streckt und dehnt er ihn, modelliert ihn auf dem Sofa liebkosend wie einst Pymalion seine Galatea. Auch auf das Gerüst zur Ausmalung der Sixtina könnte das Stangengewirr hinweisen. Am Ende liegt ihm der Knabe, übergossen mit schlierendem Grün, wie der tote Jesus über dem Schoß.
Freudvoller, zumindest showhafter die letzte Miniatur, selbst wenn sie ein eher gruseliges Sujet hat. Sensation machte in den USA der 1930er ein siamesisches Mädchenpaar. Alsbald hatten die Hilton Twins Erfolg im Business. Eine aber sehnte sich nach der Zuwendung eines Mannes, was der anderen Leid bereitete. Um jene groteske Liebe geht es bei Roznos, grundiert vom Jazz etwa der Billie Holiday.
Zu „Love me or leave me“ und „The man I love“ tanzt ein Trio, manchmal ein Quartett, die Herren im weißen Smoking, doch wie im realen Schicksal ohne Aussicht auf Dauer. Was bleibt übrig, als die Szene vom Blau des Anfangs schlucken zu lassen. Durch ein Mehr an tänzerischer Charakterisierung hätte der Abend an Profil gewinnen können. Dennoch steht er in der Folge all jener Kammerproduktionen, mit denen Roznos neben Handlungsballetten in vier Spielzeiten dem Rostocker Ensemble ein Gesicht gegeben hat. Wie Stellvertreterin Katja Taranu die Kompanie ab der neuen Saison weiterentwickeln will, darf man gespannt erwarten.
Nächste Vorstellungen: 16., 30.4., 16., 25.5.
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