Ein Triumph der Jugend
John Neumeier eröffnet die 48. Hamburger Ballett-Tage mit „Romeo und Julia“
Gastspiel Tokyo Ballet mit Béjart-Choreografien bei den Hamburger Ballett-Tagen
Zum Schluss von „Kabuki“ fährt Maurice Béjart alles auf, was das Tokyo Ballet an männlichen Beinen hergibt: Die Bühne der Hamburger Staatsoper füllt sich mit Männern in weißer Kleidung, eine rote Sonne leuchtet im Hintergrund.
46 Samurai stimmen sich mit ihrem Anführer Yuranosuke (Dan Tsukamoto) auf den Kampf gegen den feindlichen Fürst Morono ein. Papierbahnen, eingespannt in Rahmen, werden martialisch durchsprungen, Soli wechseln mit Duos und der gesamten Gruppe, die präzis wie eine gut geölte Maschine agiert, quasi Polowetzer Tänze in japanisch getöntem Ambiente aufführt. Weil das Bewegungsmaterial Béjarts hier klassisch bestimmt ist (wie fast durchwegs während des gesamten zweigeteilten Abends mit „Kabuki“ und „Bugaku“), die Phrasen zudem nicht dynamisch zugeschnitten sind, sondern mit vielen Brüchen in der Abfolge aufwarten, entwickelt sich kein aggressiver Duktus. Die Kriegsdrohung versandet im unverbindlich Dekorativen. Dennoch wird schließlich der abgeschlagene Kopf Moronos triumphierend vorgeführt. Feierlich sinken die Gestalten in den Hocksitz - und begehen Seppuku (ritueller Selbstmord), Endpunkt einer unübersichtlich verschachtelten Handlung, die in einer Disco im modernen Tokyo beginnt.
Von dort rutscht ein Mann unversehens in die Vergangenheit zu Zeiten der sagenhaften 47 Samurai. Die Geschichte dreht sich, um die abgewiesene Annäherung Moronos an eine verheiratete Frau, um verletzte Ehre innerhalb einer kompliziert strukturierten Gesellschaft. Aus einem Angriff auf Morono durch den Gatten resultiert der Zwang zu dessen Seppuku, daraus wiederum der Zwang zur Rache durch Gefolgsleute des Ehemanns, dieser Weg endet unausweichlich im Massen-Seppuku.
Stoisch exekutieren die Tänzer Béjarts den Versuch, Kabuki in einer Mischung aus europäischen und japanischen Elementen zu präsentieren. Klassische Schritte (auch auf Spitze) offenbaren bei Béjart choreografisch keine Impulse, keine plastische Darstellung der jeweiligen Personen, sie kleckern eher beliebig, unzusammenhängend daher. Für die Welt des Höfischen und der Samurei fällt Béjart keine überzeugende Bewegungssprache ein, gemäßigter Tiefschritt, rituelle Gesten und das Stoßen der Faust nach unten, begleitet von einem Kampfschrei, reichen nicht.
Da die Tokyoter diese schüttere Vorlage nicht mit individueller Persönlichkeit oder exzeptioneller Technik aufladen können, sinkt rasch die Spannung, die zu Beginn durch die Kostüme und scheinbar fremde Atmosphäre aufkommt. Das Durchhängen des Bogens wird verstärkt durch die irritierende Angewohnheit einiger Tänzer, nach einer Phrase ins Private abzuschlaffen bis zu ihrem nächsten Einsatz. Die Musik Toshiro Mayuzumis changiert geschickt zwischen traditionellen Klängen, etwa gutturaler Sologesang mit Flöte, und europäisch bombastischen Tönen mit vollem Orchestereinsatz.
In „Bugaku“ inszeniert Béjart die Begegnung traditioneller (Tee-) Zeremonien und heutiger Umgangsformen, angereichert durch Figuren des amerikanischen Footballs. Dazwischen behauptet sich ein Paar in glatten Trikots, das sich einander nähert mit eigentümlichen Posen, etwa einer, bei der der Kopf zurückgebogen, der Rücken hohl, das gebeugte Spielbein parallel wie ein Huf nach vorn gesetzt, das Standbein im demi-plié verharrt. Im Finale erscheint diese Pose wieder. Die Footballer stapfen wie Roboter herum, die traditionell gekleideten Frauen gleiten schwerelos über den Boden. Das ist hübsch, langweilt allerdings in seiner ästhetischen Glätte. Die Tokyoter absolvieren auch dieses Stück stoisch, innere Beteiligung wird nicht sichtbar, obwohl es doch eigentlich ihre Sache verhandelt. Wohl eher nicht.
Béjarts Melange behauptet nur Nähe zu den Formen japanischer Kultur, nutzt aber lediglich deren dekoratives Potential. Das hat mich kalt gelassen, zumal die Tokyoter keine Bäume ausreißen, sich als ein solides, aber nicht herausragendes Ensemble vorstellten.
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