Abschluss einer Ära
Mit den Hamburger Ballett-Tagen endet die Intendanz John Neumeiers
Mit John Neumeiers „Fratres“ startet das Stuttgarter Ballett in seine Jubiläumssaison
Ohne Paukenschlag, stattdessen mit der Wiederaufnahme eines sehr stillen Werkes von John Neumeier feiert das Stuttgarter Ballett den Auftakt der Jubiläumsspielzeit zu seinem 50-jährigen Bestehen. Gezählt wird dabei seit dem Amtsantritt John Crankos zur Mitte der Spielzeit 1960/1961, wobei es natürlich auch schon vorher ein durchaus achtbares Ballett der Württembergischen Staatstheater gab. Neumeiers langsames, fast meditatives Stück „Fratres“ war im Jahr 1986 eines der ersten Ballette, das die Musik des estnischen „Glöckchen“-Komponisten Arvo Pärt für den Tanz entdeckte; vor drei Wochen feierte er seinen 75. Geburtstag.
Sein zweimal gespieltes „Fratres“, erst in Kammer- und dann in Orchesterbesetzung, sowie der „Cantus in memoriam of Benjamin Britten“ begleiten im Opernhaus die mystische Begegnung einer fast bewegungslosen Frau mit vier jüngeren Männern. Ein wenig wirkt das wie die sprödere Version von Crankos „Poème de l’extase“, nachdenklich statt berauscht, den Linien nach horizontal orientiert statt in die Höhe strebend. Nach kunstvollen Verschlingungen mit der statuarischen Dame wechseln die vier Männer (Geliebte? Brüder?) hinüber in ein Jenseits hinter dem Gazevorhang, kehren als Tote wieder und kreisen um die Einsame. Die Symbolik verändert sich von den erhabenen Posen einer griechischen Göttin - fast immer blickt die Frau ins Weite, weg von ihren Partnern - zu eher christlichen Bildern des Verlustes und des Flehens.
Entstanden ist das Stück damals für die knapp 50-jährige Marcia Haydee, und von der enigmatischen Faszination, die jede ihrer Bewegungen unweigerlich hatte, wurde es getragen. Sue Jin Kang dagegen wirkt beinahe unerreichbar in ihrer Verinnerlichung, so weit hat sie sich bereits von den Menschen entfernt. Ehrfurchtsvoll erhöht und behutsam herumgereicht wird sie von den Herren Jason Reilly, Filip Barankiewicz, Marijn Rademaker und Friedemann Vogel, letzterer immerhin erwies sich bereits in der Premiere als idealer Neumeier-Tänzer, der eine so rätselhafte, bis zur Abstraktion distanzierte Partie aus sich heraus beseelen kann.
Umrahmt wird die Wiederaufnahme von den beiden Uraufführungen Wayne McGregors und Jorma Elos, die im Juli im Schauspielhaus Premiere hatten (sh. tanznetz vom 09.07.2010), damals noch zu Musik aus der Konserve. Beide gewinnen nicht nur durch die größere Bühne, sondern vor allem durch die Begleitung des Staatsorchesters unter James Tuggle: In „Yantra“ entfesselt die Musik des Finnen Esa-Pekka Salonen ein irrlichterndes Spektrum an Klangfarben, zu „Red in 3.“ spielt Konzertmeister Jewgeni Schuk den Solopart von Tschaikowskys Violinkonzert derart virtuos, dass ihn Publikum und Tänzern einhellig bejubeln. Allein, die Choreografien werden dadurch nicht besser. Aber dafür strahlen die Stuttgarter Tänzer.
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