Pariser Neumeier trifft Hamburger Neumeier

Aurélie Dupont und Jiří Bubeníček in „Kameliendame” im Palais Garnier

Paris, 26/02/2010

Was liegt im Chopin-Jahr näher als eine Wiederaufnahme von John Neumeiers „Kameliendame”? Tatsächlich wird in dieser dritten Pariser Aufführungsserie des Werkes dem Komponisten mehr Ehre erwiesen als in den Vorjahren: Emmanuel Strosser und Frédéric Vaysse-Knitter, seit der Erstaufführung vor vier Jahren (siehe tanznetz vom 16.07.2006) das musikalische Rückgrat der Produktion, spielen Neumeiers geniale Zusammenstellung von Chopins Musik inzwischen mit mehr Sicherheit, Sensibilität und Finesse als je zuvor.

Die Eigenheiten der Pariser „Kameliendame” sind trotz einiger Personalwechsel geblieben: die sich mit allen Pfauenfedern der Pariser Halbwelt schmückende Ausstattung, die Konzentration auf technische Perfektion und Virtuosität, die vollendete Eleganz der Bälle und Feste, bei denen sich jeder einzelne Gast in seiner blendenden Oberflächlichkeit sonnt, sowie die ungewohnt expliziten Szenen zwischen Herren der feinen Gesellschaft und den wenig zimperlichen Kurtisanen. Unter letzteren tun sich besonders Mathilde Froustey als perfide Olympe und Eve Grinsztajn als intrigante Manon hervor, die ihre Zebrechlichkeit bis fast zum Schluss hinter einer schillernden Fassade zu verbergen weiß.

In diese Gesellschaft und in die Arme der strahlend verführerischen Aurélie Dupont fällt Jiří Bubeníčeks Hamburg-geschulter Armand wie ein Bote aus einer anderen Welt, und man versteht, warum Marguerite von jener fremdartigen Erscheinung wie vom Blitz getroffen ist. Bubeníčeks Entschlossenheit und fast naiver Idealismus lassen ihn zwar in den Augen von Vincent Chaillets leicht spöttischem Gaston und Ludmilla Paglieros gewollt vulgärer Prudence ein wenig lächerlich wirken - Duponts sensible Marguerite erliegt ihnen bereits zu Beginn des ersten Pas de deux. Trotz aller stilistischen Differenzen entwickelt sich zwischen den beiden eine harmonische Partnerschaft voller wechselseitiger Inspiration.

Bubeníček erstaunt durch seine übersprudelnde Energie, die sich vor allem in seiner explosiven Variation am Ende des 2. Aktes entlädt: selten sah man Armand derart blindwütig und sprunggewaltig über Marguerites scheinbarem Verrat verzweifeln. Auch im dritten Akt scheint sein impulsiver Armand in jedem Augenblick zu allem fähig. Angesichts dieser aufrichtigen Leidenschaft vergisst Aurélie Duponts Marguerite alle anfängliche Koketterie und wirft sich mit gleicher Hingabe in ihre letzten Begegnungen mit Armand. Am augenfälligsten wird ihr innerer Wandel jedoch in ihrer berührenden Unterredung mit Armands Vater - letzterer wurde beeindruckend interpretiert von Michaël Denard, der mit seiner Ausstrahlung und seinen darstellerischen Qualitäten früher zweifelsohne einen exzellenten Armand abgegeben hätte.

Eine Vorstellung, die zeigt, wie viele verschiedene Interpretationen Neumeiers „Kameliendame“ zulässt und dabei das Publikum immer wieder in seinen Bann zieht.

Besuchte Vorstellung: 21.02.10 
www.operadeparis.fr

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern