Tanz die Einsamkeit!
Der erste Ballettabend des neuen Direktors Demis Volpi mit zwei Uraufführungen
Die Martha Graham Dance Company überzeugt mit einem fünfteiligen Programm
Martha Graham (1894-1991) hat ihre Dance Company 1926 gegründet und bis zu ihrem Tod geleitet. In ihren rund 180 Choregrafien tanzte sie gern die Hauptrolle, und das bis über ihren siebzigsten Geburtstag hinaus. Ihre letztes Werk, „Maple Leaf Rag“ zu Musik von Scott Joplin, schuf sie mit 96 Jahren. Eine ungewohnt lustige Choreografie, bei der sich die alte Dame gewissermaßen selbst auf den Arm nimmt. Das Stück parodiert Motive aus früheren Werken, lässt die sonst so ernsthaften Tänzerinnen und Tänzer heftigen Schabernack am Barren treiben. Und dieser „Barren“ ist ebenfalls ein Witz, denn die Stange hängt durch und die Pfosten liegen auf Schaukeln.
„Maple Leaf Rag“ bildet den heiteren Schlusspunkt in einem fünfteiligen Programm, mit dem die Martha Graham Dance Company im Oktober 2010 zuerst Zürich und dann Wien beglückt (Deutschland bleibt diesmal ausgeschlossen). Die Truppe umfasst knapp 20 Mitglieder, wobei traditionsgemäß Frauen die Mehrheit bilden. Künstlerische Direktorin ist seit 2005 Janet Eilber, einst Erste Tänzerin und nahe Vertraute von Graham. Eine kluge und liebenswürdige Person, die es sich nicht nehmen lässt, vor der Vorstellung die einzelnen Werke dem Publikum persönlich vorzustellen.
Die Company beschränkt sich im Wesentlichen bis heute auf die Wiedergabe direkt übermittelter oder rekonstruierter Graham-Choreografien. Mit kleinen Ausnahmen: Das jetzt laufende Programm bringt drei kurze „Lamentation Variations“ von Bulareyaung Pagarlava, Richard Move und Larry Keigwin, schlicht und eindringlich. Sie sind 2007 auf Initiative von Janet Eilber entstanden und knüpfen an Filmausschnitte an, die Martha Graham in ihrem berühmten Solo „Lamentation“ (1930) zeigen. Während diese Figur an der Enge ihrer Welt, ihrem Eingeschlossensein in ein sackartig zugenähtes Kleid leidet, reflektieren die drei neuen Choreografien die Atmosphäre nach dem Anschlag auf die Twin Towers in New York.
Drei Szenen aus Grahams „Chronicle“ (1936), ausschließlich von Frauen getanzt, handeln von Krieg und Frieden. Während eine entfesselte zentrale Figur ihre schwarz-roten Schleier fliegen lässt, eilen die übrigen Tänzerinnen in engen, unten ausschwingenden Röcken gruppenweise über die Bühne. Sie entwickeln Graham-Stil wie aus dem Lehrbuch: Bodennah, von tiefem Atem gesteuert, bei aller Kraft filigran und präzis. Eine wunderbare Studie.
„Embattled Garden“ (1958) und „Errand into the Maze“ (1947) gehören zu jenen Werken, die sich nicht nur durch ihren plastischen Tanz, sondern auch dank der schönen surrealistischen Bühneninstallationen von Isamu Noguchi einprägen. Wobei der Minotaurus in „Errand into the Maze“, eine Mordsmischung von Mensch und Stier, zuweilen jenes unfreiwillig komische Männerpathos entwickelt, das eben auch zum Graham-Stil gehört.
Ariadne dagegen, die (anders als im griechischen Mythos) den Minotaurus nach drei Kampfrunden besiegt – sie setzt ihren wendigen Körper mit bewundernswerter Finesse ein. Miki Orihana, Jennifer DePalo und Blakeley White-McGuire übernehmen abwechslungsweise die Starrolle, die bei der Uraufführung vor mehr als 60 Jahren natürlich Martha Graham herself kreierte.
Alles in allem: Die Martha Graham Dance Company, die einst auch ihre Durststrecken hatte, wirkt heute wieder sehr stark. Ihr Repertoire erinnert an eine kostbare Antiquitätensammlung.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments