Ein überfälliges Thema
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Und wieder fliegt der Feuervogel! Heinz Spoerli hat das Ballett zu Igor Strawinskys Originalmusik nun schon zum dritten Mal choreografiert: 1973 für das Basler Ballett, 1993 für seine Düsseldorfer Truppe. Jetzt, im März 2010, hatte „Der Feuervogel“ beim Zürcher Ballett Premiere. Zusammen mit Hans van Manens viel gelobten „Frank Bridge Variations“ zur gleichnamigen Musik von Benjamin Britten. Das mit dem Het Nationale Ballet in Amsterdam 2005 kreierte Werk kam in Zürich zwar gut an, erreichte aber nicht seine optimale Form.
Doch zurück zum „Feuervogel“! Uraufgeführt 1910 an der Pariser Oper durch das Diaghilew-Ballett, choreografiert von Michail Fokine, der auch den Iwan Zarewitsch tanzte. Immer wieder neu interpretiert, bis hin zur revolutionären Umdeutung von Maurice Béjart. Spoerlis erste Fassung steht dem Fokine-Original noch ziemlich nahe. Die Düsseldorfer Version, mit einer riesigen Kompanie auf einer ganz in Schwarz gehaltenen Bühne realisiert, beurteilt der Choreograf heute eher negativ.
In seiner dritten „Feuervogel“-Version spielt das großartige Bühnenbild von Roland Aeschlimann eine wichtige Rolle. Es zeigt einen riesigen, sich drehenden Vogelkäfig. Bei warmer Beleuchtung wirkt er verlockend, bei fahlem Licht aber wie ein Hochsicherheitstrakt. Auf dem Höhepunkt der Handlung, als Iwan Zarewitsch mit Hilfe des Feuervogels den Zauberer Kastschei vernichtet, stürzt ein schillernd violetter Vorhang wie ein Wasserfall von der Decke und entzieht den Käfig unseren Blicken. Aufregende, zauberhafte Art-Deco-Kunst. Eindruck machen auch die Kostüme von Keso Dekker. Er verzichtet auf pompöse russische Fantasiekostüme, steckt den Prinzen in weiche Stiefel, Samtleggins und ein feines Kettenhemd. Kastschei erscheint wie ein Edelpunk-Chef. Die verwunschenen Prinzessinnen tragen leichte violette Kleidchen.
Spoerli arbeitet in seiner etwas kühlen, aber effektvollen und fantasiereichen Choreografie kaum mit Folklore. Trotz der entsprechenden Elemente in der Musik. Der Feuervogel (federleicht: Aliya Tanykpayeva) tanzt auf Spitze, die verwunschene Zarewna (Viktorina Kapitonova) und ihre Gespielinnen bewegen sich auf weichen Sohlen. Eine neu eingeführte Gruppe von fünf Frauen erinnert an den im 20. Jahrhundert aufkommenden Ausdruckstanz; sie sind in lange schwarze Stoffe gehüllt, später tragen sie vornehme weiße Kleider à la Belle Epoque. Die Frauenriege soll wohl das zuerst so verhängnisvolle, später das heitere Schicksal der schönen Zarewna spiegeln.
Die Gruppenauftritte der Männer, an denen sich auch Mitglieder des Junior-Ballett beteiligen, zeigen die Tanzenden in verschiedenen Rollen: etwa als rockende Monster, aber auch als wiegenden Baumersatz und zuletzt als Halbgefangene in trapezförmigen Gitterkleidern. Am dramatischsten hat Spoerli die Auftritte des Iwan Zarewitsch und seines Urgegners Kastschei gestaltet. Arsen Mehrabyan und Arman Grigoryan meistern ihre Parts bravourös.
Im Zweikampf tritt Kastschei auch gegen den Kopf des Zarewitsch: ein Hinweis auf die schrecklichen heutigen Gewaltszenen unter Jugendlichen in Deutschland und der Schweiz. Bei Kastscheis Tod greift das Zürcher Ballett dann wieder aufs traditionelle Libretto zurück: Der Behälter, in dem die Seele des Zauberers steckt, zerbricht. Dann findet im Eiltempo die Krönung des jungen Paars statt, samt Apotheose. So ruckzuck hätte es nicht sein müssen. Man hätte gern noch einigen Hochzeitsfeierlichkeiten zugeschaut!
Premiere: 27. März 2010
www.opernhaus.ch / www.spoerli.ch
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