Der Spätromantik anverwandelt
Heinz Spoerlis neue „Raymonda“
Abschied vom Zürcher Ballett mit einem gewitzten „Don Juan“
Nach 16 Jahren tritt Heinz Spoerli als Direktor und Chefchoreograf des Zürcher Balletts ab. Schließlich ist er bald 72 Jahre alt. Als letzte Uraufführung präsentiert er Christoph Willibald Glucks „Don Juan“ (1761), ein attraktives, witziges, weitgehend neoklassisches Ballett. Ergänzt wird das Programm durch zwei neu einstudierte Stücke, die der Choreograf 1987 und 1980 für seine Basler Truppe kreiert hatte: „Grid“ (Gitter) zum Klavierkonzert Nr.2 F-Dur von Dmitri Schostakowitsch (1957) und „Till Eulenspiegel“ zur Sinfonischen Dichtung von Richard Strauss (1895). Ab nächster Spielzeit übernimmt Christian Spuck, der bisherige Hauschoreograf des Stuttgarter Ballett, die Truppe, die fortan Ballett Zürich heissen soll.
Die Hauptrolle im neuen „Don Juan“ tanzt Vahe Martirosyan, der in den letzten Jahren zu Spoerlis wichtigstem Solisten geworden ist (und leider weggeht von Zürich). Er gibt den verwegenen Frauenhelden, der seine Opfer mit Charme, Frechheit und einiger Gewalt verführt. Mit Doubles Tours en l’Air, verrückten Sprüngen, Pirouetten und anderen Ballettkunststücken zieht er die Blicke auf sich, noch mehr aber durch seine sonstigen Körperspiele und –attacken. Don Juans (teils freiwillige) Opfer trippeln auf Spitze daher, doch wirken sie trotz ähnlicher Kleidung individuell: Seh Yun Kim als Donna Anna wirkt zart und schüchtern, während Sarah-Jane Brodbeck als Duchesa Isabel keck auf Don Juan zugeht und ihn in eine Art erotischen Stierkampf hineinzieht. Galina Mihaylova tanzt als Zerlina, Juliette Brunner als Teresa an.
Spoerli hat Glucks Ballettmusik um einige Nummern von 40 auf 30 Minuten gekürzt. Er ist sich bewusst, dass sie trotz Wohlklang und Dramatik natürlich nicht an Mozarts 26 Jahre später uraufgeführten „Don Giovanni“ heran reicht. Mit Witz und Ironie versucht der Choreograf den Direktvergleich zu umgehen, indem er etwa den ohnehin viel zu jungen Komtur (Filipe Portugal) so komisch sterben lässt, als handle es sich um den Scheintod des Basil in „Don Quixote“. Don Juans Höllensturz erinnert an Marionettentheater: Die Mitwirkenden haben sich in rote Umhänge gehüllt und legen einen wilden Feuer-Furien-Tanz auf die Bühne. Bis an der Hinterwand eine zuschnappende Klappe alle verschlingt: Don Juan, seinen Diener (Daniel Mulligan), die verführten Frauen, das Volk, den Komtur und sein Pferd.
Florian Etti, der schon oft die Bühnenbilder zu Balletten von Heinz Spoerli geschaffen hat, sorgte auch jetzt wieder für eine stimmungsvolle Dekoration: Die Wände glänzen in Königsblau und Gold, auf den Seiten dekorieren Friese mit Menschen- oder Tierköpfen die Szene. Bewegliche blaue Bänke dienen nicht nur zum Sitzen, sondern auch zum Kämpfen und Verteidigen. Das Orchester der Oper Zürich wird lustvoll dirigiert von Theodor Guschelbauer.
Legen wir nun den „Don Juan“, diesen schön geschliffenen Ballett-Edelstein, in die Schmuckschatulle mit allen andern Preziosen, die Spoerli für das Zürcher Ballett geschaffen hat. Darin glitzert und funkelt und sprüht es. Unglaublich, wie viele Stücke es sind – und von welcher Qualität. Da finden sich die „Goldberg-Variationen“ oder „Ein Sommernachtstraum“, die der Ballettdirektor quasi als Gastgeschenk von seinem vorherigen Engagement als Ballettchef bei der Deutschen Oper am Rhein mitgebracht hat. Mit ihnen eröffnete er die erste Spielzeit in Zürich 1996/97. Bis heute stehen sie immer wieder auf dem Programm, auch bei Gastspielen rund um die Welt.
In Zürich entwickelte Spoerli viele Neufassungen klassisch-romantischer Handlungsballette aus dem 20. und 19. Jahrhundert. Er brachte sie in eine Form, die der Tradition ebenso Rechnung trägt wie dem heutigen Geschmack: „Romeo und Julia“, „Cinderella“, „Coppelia“, „Don Quixote“, „Raymonda“, „Giselle“, „Nussknacker“ - und natürlich „Schwanensee“. Diesen übernimmt Spuck in sein künftiges Repertoire. Zum Glück bleiben Spoerlis drei hoch qualifizierte Ballettmeister Chris Jensen, François Petit und Jean-François Boisnon weiter in Zürich, um den neoklassischen Standard zu sichern.
Doch zurück zu den Edelsteinen in der Zürcher Schmuckschatulle. Der Meister hat auch viele abendfüllende Ballette kreiert, die einem bestimmten Komponisten gelten. Diese Werke sind weder konkret noch ganz abstrakt. Sondern Stimmungsballette mit Ansätzen von Handlung und persönlichen Beziehungsgeschichten. Oft zu Bach-Musik: „Wäre heute morgen und gestern jetzt“, „In den Winden im Nichts“, „... und mied den Wind“. Dann zu Mozart: „moZART“, „... eine lichte, helle schöne Ferne“. Oder „Brahms, ein Ballett“. Oder Mahler: „Allem nah, allem fern“ und – nicht abendfüllend, aber prominent - „Das Lied von der Erde“. Und vergessen wir nicht das große Grieg-Ballett „Peer Gynt“.
Schließlich hat Heinz Spoerli viele kürzere Ballette zu Orchester- oder häufig auch zu Kammermusik choreografiert. Mehrheitlich basieren sie auf neoklassischem Tanz, aber mit weiten Ausflügen ins Zeitgenössische und Persönlich-Assoziative. Ende Juli reist ein Teil des Zürcher Balletts zu den Salzburger Festspielen. Dort wird es, begleitet vom Hagen Quartett, in der Felsenreitschule drei kürzere Werke tanzen: Schuberts „Der Tod und das Mädchen“, Dvoraks „Amerikanisches Quartett/ In Spillville“ und Janaceks „Steichquartett Nr.2/ Intime Briefe“.
„Don Juan“: UA am Zürcher Opernhaus 24.03.12. Bis 01.07.12.
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