Ein überfälliges Thema
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Das Tanztheater München lädt zu düsteren „Körpersprachen III“
Unter heißer Julisonne einen komplett schwarzgrauen Abend Premiere feiern zu lassen, ist eigentlich eine charmante Idee. Am Gärtnerplatztheater gibt es ab sofort Christian Spucks „Sleepers Chamber“ zu sehen, dazu eine Neuchoreografie von Gustavo Ramirez Sansano, „Everything“. Ersteres Stück behandelt vor schwarzer, bedrohlicher Heuschreckenbühne (gestaltet von Spuck) die Transformation einer Gruppe von Schläfern zu einem neuen, schlagenden System; letzteres ermittelt in dunklem Graublau die inneren Kämpfe eines Mannes, der sich auf eine neue Beziehung einlässt. Das neue Programm bietet somit eine einheitliche Ästhetik. Inhaltlich ist es allerdings nicht so gewichtig, was ja hervorragend in den Sommer passt.
Was wurde nicht schon alles über Beziehungen gesagt. In Ramirez Kreation für acht Tänzer hadern die zwei Protagonisten mit den Erinnerungen an ihre Expartner, die sich auf mannigfaltige Weise in einen konzentrierten Pas de deux mischen. Die eine Ex schiebt sich tückisch dazwischen, die andere durchmisst besserwisserisch den Raum und lenkt von der neuen Angebeteten ab; wogegen der Held in der Erinnerung der Frau einen erbitterten Kampf mit seinem Vorgänger führen muss, der jegliche Kommunikation unmöglich macht. Szenen, die dem Titel des Abends, „Körpersprachen III“, voll gerecht werden. Denn Ramirez versteht es vortrefflich, Typen oder innere Haltungen in getanzte Gesten und Gesichter zu transformieren. Das monumentale Bühnenbild mit seinen zwei durchsichtigen, drehbaren Halbkäfigen, in denen die Protagonisten sich mal verstecken, mal einander zuwenden, sorgt obendrein für glasklare Verhältnisse. Zu klar, eigentlich. Denn erst Geheimnisse und Unwägbarkeiten machen Beziehungen spannend – man denke nur an Petipas nicht tot zu kriegenden „Schwarzen Schwan“-Pas-de-deux .
In dem Sinne rührte Spucks „Sleepers Chamber“ tiefere Saiten im Betrachter. Acht Tänzer mit Spitzhüten erwachen, bewegen sich im relativen Chaos, formieren sich dann aber zu streng formalen Paaren und Reihen. Wie sich unmerklich alles ändert, wie die Duette fließen, Auftritt und Abgänge sich die Hand geben, das demonstriert große Eleganz und ehrt Spucks Körpersprache. Entgegen der Erklärung im Programmheft ist das Stück aber auch politisch: Graue Herren in spitzen Hüten vor einer riesigen Heuschrecke, die heimtückisch alles auf Linie bringen, erinnern doch sehr an Weltbank und Welthandelsorganisation. Umso bedauerlicher, dass das Stück keine Lösung anbietet: Zuletzt tauchen wieder Spitzhüte auf, die auf eine neue oder Rück-Transformation hinweisen. Man fragt sich, was da noch kommen könnte.
Übrigens auch hinsichtlich Christian Spucks, der 2012 die Direktion des Zürich Balletts übernimmt. Was in München von ihm zu sehen ist, sieht jedenfalls nach einer Schweizer Ballettzukunft aus, die Hand, Fuß und Ideen hat.
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