Wie eine Wanderdüne

Rückblick auf den Wettbewerb „no ballet“ in Ludwigshafen

Ludwigshafen, 21/10/2010

Hatte der internationale Tanzwettbewerb „No Ballet“ im Gründungsjahr 2006 knapp hundert Bewerbungen, hat sich die Anzahl innerhalb von fünf Jahren verdreifacht: 270 streitbare Tanzprofis aus 53 Nationen sind angetreten, um von elf Juroren mittels Videos begutachtet zu werden. Schließlich wurden 18 Kandidaten für die Endausscheidung nominiert. Choreografinnen (12) und Choreografen (6), Tänzerinnen und Tänzer aus China, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Israel, Kroatien, Korea, Kuba, Russland und Spanien präsentierten an drei Tagen im Pfalzbautheater ihre Stücke.

Miniaturen von maximal 15 Minuten, wobei einerseits erstaunt, wie viel Bewegungsmaterial in eine Viertelstunde gepackt werden kann, andererseits aber die Fülle an Ideen allein nicht ausschlaggebend ist für eine gelungene Präsentation. Ein stringentes Konzept, eine nachvollziehbare Dramaturgie, eine konsequente Durchführung sind gefragt: „Die eingesandten Videos sind oft kürzer und prägnanter als die Präsentation vor Ort, häufig ist das dann enttäuschend, sowohl für die Jury, als auch für die Kandidaten, die leer ausgehen“, sagt die Initiatorin Juliane Rößler.

Die Griechin Aikaterini Andreou lässt ihre siebenköpfige Gruppe im Stück „Mala“ (Apfel) mit fast nackten Körpern viele rotbackige Äpfel balancieren, jedoch nur scheinbar, wie sich herausstellt, denn die Früchte sind festgeklebt. Das biblische Motiv ist ein schöner Einstieg, versandet aber nach wenigen Minuten, obwohl das Spiel mit der Frucht der Erkenntnis mehr hergegeben hätte. Tragfähiger „Red Lantern Diaries“ des Chinesen Jie Dong. Die Unterdrückung der Frau als tanztheatrale Elegie aus geschmeidigen Bewegungsabläufen und körperlicher Präsenz. Durch den hörbaren Gleichklang des Atems verschmelzen Aktionen zu magischer Synchronizität. Geschwätzig und ein bisschen albern sind die überdrehten fünf Tänzer-Marionetten, die ihre Nadine Bommer in „American Cinema“ aus den Kinosesseln scheucht. Sie schmusen, futtern Popcorn oder rufen entnervt „Pssst!“. Ferngesteuert oder Fremdbestimmt? Das karikierende Vokabular aus Slapstick und Roboting verlangt den Tänzern höchste Präzision ab.

Doch weder die Finalisten aus Fernost, noch die Hektik der Kinobesucher oder das Trio „Red Ladies“ von Maya Brinner, eine aus Seitschritten aufgebaute Raum-Etüde, werden mit einem Preis bedacht. Das einzige Gruppenstück, das die Jury überzeugt ist „Green armchair“ des Finnen Petri Kekoni. Zum aufwühlenden Soundtrack lösen sich die vier Protagonisten aus der Lethargie grüner Sessel. Die Sitzmöbel markieren die Ecken einer imaginären Kampfzone. Darüber schwebt ein überdimensionaler Lampenschirm. Paare suchen sich, greifen ins Leere in einem emotional aufgeladenen Raum steht der Wunsch nach Nähe und Zärtlichkeit. Dafür gibt’s einen zweiten Preis.

Alle weiteren Auszeichnungen gehen an Duette. Völlig ohne Requisiten, schlicht gekleidet, zwei ungleiche Körper erhält das Männerstück von Erik Kaiel (USA) den ersten Preis. Sein Titel "No man is an island" ist eine These, und die gilt es zu widerlegen. Einer liegt entspannt am Boden, der andere wandert über Rücken, Arme, Beine. Der oben erkundet die Körperlandschaft des Unteren, testet Balancen und baut den Partner permanent um, ohne je den Körper zu verlassen. Wie eine Wanderdüne zieht das symbiotische Paar durch den Raum und lässt dabei die Zeit vergessen.

Der dritte Platz gehört dem „Modern feeling“ von Insoo Lee. Der Südkoreaner entwickelt mit seinem Partner einen erfrischenden Schlagabtausch aus körperbetonten Idiomen, mit Anklängen an Break Dance, Capoeira und fernöstlichen Kampfsport. Das Publikum entscheidet sich mit überragender Mehrheit für „A & P“ (Amor und Psyche) des französischen Duos Sébastien Ramirez und Hyun-Jung Wang. Sie im weißen Trainingsanzug, er in T-Shirt und dunkler Hose vor blauem Hintergrund, ein Gedicht aus sinnlichem Tanzvokabular und dynamischer Bewegungssprache mit kleinen artistischen Akzenten. Drei Duette, die Tanzgeschichte schreiben könnten.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern