Assams Drogen-Dornröschen in Trier

„Dornröschen“ am Theater Trier in einer Choreografie des Gießener Ballettdirektors Tarek Assam – Frei nach der Musik von Tschaikowsky

Trier, 19/12/2011

„Dornröschen“ als Ballett hat schwergewichtige Vorbilder, angefangen beim Original von Marius Petipa nach der Musik von Peter I. Tschaikowsky, uraufgeführt im Januar 1890 in St. Petersburg. Viele Choreografen haben sich seitdem daran versucht, zunächst in Variationen, dann in Rekonstruktionen, schließlich in freien Interpretationen. Das Theater Trier wollte es im Weihnachtsprogramm haben und hat sich dafür mit Tarek Assam einen Choreografen des zeitgenössischen Bühnentanzes eingeladen.

Die Größe der beiden Theater und ihrer Tanzcompagnien entsprechen sich, die Anzahl der festen Mitglieder liegt bei einem Dutzend. Eines der personenreichsten Ballette muss also geschrumpft werden, personell und musikalisch. Was Stücken des 19. Jahrhunderts durchaus gut tut, denn unsere Seh- und Hörgewohnheiten haben sich gründlich gewandelt. GMD Valtteri Rauhalammi führt das Philharmonische Orchester sicher durch alle Klippen, arbeitet die Nuancen von romantisch bis pathetisch präzise heraus.

Assams Konzept belässt das Palastambiente, dafür hat Bühnenbildnerin Gabriele Kortmann (Berlin) den Hofstaat in stilisierte, zeitlos-elegante Kostüme gekleidet, die von weißen Perücken gekrönt werden: die Frauen mit Hochsteckfrisur, die Männer im Heino-Look. Davon heben sich die Wesen aus dem Feenreich deutlich ab, sie tragen farbenfrohe Kostüme und Frisuren zwischen Punk und Gothic. Das schlichte und variable Bühnenbild von Fred Pommerehn (Berlin) besteht aus drehbaren Teilwänden im Hintergrund der Bühne, die dank ihres glitzernden Überzugs vom Licht in unterschiedliche Sphären verwandelt werden; von silbrig-bunt bei der Geburtstagsparty über grün im Wald bis goldfarben bei der Hochzeit.

Nicht der berühmte Nadelstich versetzt Dornröschen/Aurora mitsamt Hofstaat in einen 100-jährigen Schlaf, sondern Partydrogen. Die schwarze Fee Carabosse tritt als Drogendealer auf (Noala de Aquino) und das verwunschene Dornröschen-Schloss mutiert zu einem Ambiente zwischen Wald und Klinik. Schöne Bilder entstehen hinter einem Gazevorhang, auf den eine bewegliche Grafik projiziert wird, hinter dem farbige Schlingen und der Dealer herabhängen. Daraus kommen auch Infusionsschläuche, über die der schlafende Hofstaat ernährt wird. Einer der umsorgenden Pfleger verliebt sich in Aurora, küsst sie nicht nur wach, sondern wird zum weißen Prinzen (Robert Seipelt). Er gewinnt den Kampf gegen das Böse nach moralischer Aufrüstung durch die Fliederfee (Juliane Hlawati), hier Lila Fee geheißen.

Das Werben der Prinzen (Denis Burda, René Klötzer, Robert Seipelt) – sprungsicher, geschmeidig und gewandet im aktuellen Look mit Hut und cooler Brille – gehört zu den besten Tanzszenen. Die umworbene Aurora wird von der zierlichen Christin Braband als vorwitzige und naive Göre überzeugend dargestellt. Die beinahe klassischen Pas-de-Deuxs sind anspruchsvoll, allerdings fehlt bei den modernen Kampfszenen jenes Quentchen Aggressivität, um überzeugend rüber zu kommen. Die Gruppenszenen ziehen sich in die Länge, Akzentuierungen würden gut tun.

Das Spezifische an Tarek Assams Choreografien, das musikalisch gegen den Strich bürsten und Klassiker durch darstellerische Einsprengsel aufzulockern, das vermisst man bei dieser Dornröschen-Version. Einzig die vom Orchester grandios eingespielten populären Filmmusiken – die Nerven zerrenden Geigen von ‚Psycho’, das ‚Pink Panther’-Thema für den Auftritt der schwarzen Fee und von ‚Mission Impossible’ für den erwachten Kampfgeist des weißen Prinzen, rütteln das Publikum wach und sorgen für den verdienten Zwischenapplaus. Dem Trierer Publikum hat’s gefallen, womöglich hätte es mehr Original-Assam goutiert als die Intendanz zuließ. Weitere Vorstellungen von „Dornröschen“ am Theater Trier bis Anfang März.

www.theater-trier.de

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