Wenn Roboter weinen lernen
Les Ballets de Monte Carlo mit „COPPÉL-I.A“ in Ludwigshafen
Uraufführungen von Jean-Christophe Maillot, Johan Inger und Emio Greco/Pieter C. Scholten bei den Ballets de Monte Carlo
Monte Carlo im April 2011: Sehr warm, blaues Meer, die Yachten. Und alle da. Nur der Prinz und seine Schwester, die Ballett-Gönnerin Caroline scheinen (dann auch am Abend des 20. April bei der Premiere im Grimaldi Forum) nicht anwesend. Trotzdem freilich viel Reichtum an der Oberfläche. Man posiert vor dem legendären Casino für einen Schnappschuss oder dreht sich kurz um und ist beinahe Kühlerfigur eines Ferrari, rot natürlich. Viele Touristen um das Hotel de Paris. Im Nahe gelegenen, dunkel und kühl gehaltenen Shoppingcenter Metropole sind Ballettkostüme und dazu passende elegante, meist im Freien aufgenommene Fotos von Tänzern und Tänzerinnen der Ballets de Monte Carlo ausgestellt; darunter die unübertreffliche langgliedrige Bernice Coppieters mit ihrem blonden Kurzhaar. Auch sie wird bei der dreiteiligen Weltpremiere des Programms, das in den Schaufenstern mit einem holzschnittähnlich schroff gezeichneten Pas-de-deux-Paar vor ockergelb-blauschwarz-rotem Hintergrund beworben wird, nicht dabei sein. Das Dessin stammt von Valerio Adami, der auch für den neuen Bühnen-Vorhang im Grimaldi Forum verantwortlich zeichnet. Darauf geht ein Vorhang hoch und macht Tänzerbeine sichtbar. Um Blicke hinter glatte Oberflächen des Tanzes und unterschiedliche Fragestellungen zum Thema Manipulation und Selbstbestimmung des Tänzers, des Menschen scheint es in den Uraufführungen zu gehen.
Die Ballets de Monte Carlo, weltweit vor allem geschätzt für ihre mondänen Interpretationen spannend neu gefasster Handlungsballette ihres Chefs Jean-Christophe Maillot, sind darin durchaus dem zeitgenössischen freien Tanz, dem Konzepttanz auf der Spur. Freilich aus einer kaum experimentellen Sichtweise denn vielmehr aus einer zeitbewussten Erkenntnis heraus, dass auch Ballett-Ensembles im besten Fall Spiegel ihrer Zeit sind und gut daran tun sich Fragen zu neuer Inhaltlichkeit zu stellen. Es ist Maillot anzurechnen, dass er sein „Opus 50“ zur hochdramatischen ständig erzählenden Musik von Marc Monnet an den Beginn stellt. Es ist bei aller Sublimität, die Maillots intelligenten Entwürfen stets anhaftet, das schwächste Stück des Abends, in dem der Chefchoreograf die Manipulation zunächst von drei Frauen in hellen weißen Hosen und in Spitzenschuhen durch einen Schöpfer-gleichen Typ mit großer, antiker Geste zeigt. Der sagt via Microport Lebenszustände an, zuletzt auch das Sterben: Schweinwerfer-ähnlichen Gebilden, die sich senken, werden weiße Overalls entnommen und angezogen. Seiner nicht unspannenden Idee, den Menschen als gesteuertes Wesen zu zeigen, erliegt Maillot aber durch die Wahl letztlich konventioneller Mittel. Abgesehen vom zeitgenössischen sparsamen Bühnendesign von Philippe Favier bleibt er einem eklektizistischen Neoklassizismus in Form eines kleinen Handlungsballetts verhaftet.
Der schwedische Choreograf Johan Inger ist in „In-Exact“ mit sensibel getimter und minimalistisch feinstimmiger bis stark tönender Stimmungs-Musik von Jean-Louis Huhta einen großen Schritt weiter. Unter einem Schweinwerfer-Kreis, der sich am Ende senkt, verläuft eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Bewegungsformen. Eine Frau vorne, ein Mann weit hinten, beide testen ihre Haltung mit gebeugten Knien am Anfang, am Ende der Inszenierung stehen sie einander gegenüber. Dazwischen entwirft Inger gekonnt Szenen mit elf Tänzern, in denen Formen-Konstellationen durchgespielt werden. Die sind wunderbar getanzt, verweisen mitunter auf Ingers Mentor Jiří Kylián und bleiben auch ästhetisch durch die Kostüme von Caroline Armenta einem gewissen NDT-Look treu. Das Real- Zeitgenössische wirkt da eher durch so manche Herren-Haartracht gespiegelt als durch den stupend ausgeführten Tanz. Dieser steckt nämlich mit einem Bein im rasant-schönen unhinterfragten Spiel mit Formen, das etliche Tanzbühnen seit den 80er Jahren (immer noch) beherrscht. Nicht umsonst ist William Forsythe anhaltend der Rufer in der Wüste.
Die Überraschung des Abends lieferten Emio Greco und Pieter C. Scholten mit dem 39-Minuten-Wurf „le corps DU BALLET“ für 27 Tänzer. Das Duo blickt nun tatsächlich hinter die Disziplinierung der Tänzer durch die immer und immer wieder praktizierte und verordnete Form des klassischen Tanzes. Man meint Dschungel-Geräusche zu hören, ein Anschwellen von Klangflächen, später ein Tschaikowsky-Zitat (Musik: Sebastian Gaxie und Scholten). Eine Baumform im Hintergrund, die Bühne eingesäumt von glänzenden, in Streifen geschnittenen Vorhängen, differenzierter Einsatz des Lichtes. Ein Tänzer mit blauem langen bastähnlichen Rock führt unter Anderem eine choreografische Passage aus „Schwanensee“ immer wieder aus. Aber auch andere Zitate lassen sich ablesen, die in einem rauschhaften Bewegungs-Sog als internalisiertes Bildungsgut eingefügt sind. Die werden auch von der großen Tänzer-Gruppe in nudefarbenen Kostümen (Clifford Portier) ausgeführt, die man in ihrer Gesamtheit für das Fleisch des Tanzes sehen kann. Greco/Scholten inszenieren einen unabdingbaren Zwang zur Bewegung und schaffen es im selben Augenblick, einen solchen Gewalt-Akt aus Überzeugung, Lust und Sadomasochismus kritisch zu kommentieren. Die Tänzer tun das nicht nur in verbalen Ausbrüchen, sondern auch mit sehr unterschiedlichen Energien, die im Ensemble befördert werden, und erzeugen dadurch auch eine wesentlich größere Intensität auf der Bühne als in den davor gezeigten Werken. Ein Pulsieren, das an den Herzschlag erinnert, begleitet die blockhaften Anordnungen der Tänzer, die sich immer wieder den Kragen ihres Kostüms über das Gesicht ziehen und so zur anonymen Ballett-Masse werden. Greco/Scholten stellen entgegen ihrer Vorgänger die Frage nach Inhalt und Dramaturgie zunächst vor jener nach der adäquaten Tanz-Form und erreichen damit, wie vielfach im zeitgenössischen Tanz probiert, eine überzeugende heutige Auseinandersetzung. Viel Applaus auch für die einmal mehr sehr versatil und geradezu empörend beeindruckend guten Tänzer und Tänzerinnen der Ballets de Monte Carlo. Stellvertretend seien genannt: Jeroen Verbruggen, Chris Roelandt, Gaetan Morlotti.
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