Körper fliegen übereinander
Overhead Project bei den Regensburger Tanztagen
„No Ballet“ bleibt seinem Rezept treu und zeigt viel Tanz, aber wenig Risiko für Neu
Ein herausragendes Merkmal im zeitgenössischen Tanz ist seine Lust an der Selbstreflexion. Eigene Mittel und künstlerische Strategien zu hinterfragen, um die Konstruktionen ästhetischer Verfahren offen zu legen, kennzeichnet ihn. Und auch sein Drang, Tanzkunst im Licht der Geschichte zu betrachten und den bewegten Körper mit seiner historischen und zugleich politischen Dimension zu konfrontieren. Zeitgenössischer Tanz ist so vielfältig wie andere Kunstsparten auch und kann nicht durch eine einzige Praxis erklärt werden. Darin, alle möglichen Felder zu bearbeiten – die neoklassischen genauso wie Tanzkonzepte mit improvisatorischen Strategien oder ein Umgang mit Sprache und anderen Kunst- und Ausdrucksmitteln sowie der unmittelbaren Einbeziehung des Publikums – liegt der Reiz gegenwärtiger choreografischer Verfahren. Und diese Vielfalt abzubilden, ist die Aufgabe einer choreografischen Plattform wie es „No Ballet“ sein will. Kein Ballett, dafür aber alle anderen tänzerischen Arbeitsverfahren präsentieren, die derzeit national und international geschaffen werden.
2006 hatte Juliane Rößler als künstlerische Leiterin und Organisatorin den Wettbewerb ins Leben gerufen und seither jährlich im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen veranstaltet. Und auch in diesem Jahr konnte die Jury wieder aus fast 300 Einsendungen Arbeiten auswählen. Warum allerdings Choreografen erneut eingeladen werden, ist schleierhaft bei so viel Auswahl. Es trägt, und das ist das Hauptproblem, dazu bei, dass sich der Gesamteindruck von „No Ballet“ über die Jahre nicht verändert. Ein Blick auf die erste Vorrunde etwa gibt darüber Aufschluss: Maya Stern und Tomer Sharabi schafften 2008 den ersten Platz bei „No Ballet“. 2011 sind sie mit „Keep Walking“ wieder dabei und scheiden zurecht vorzeitig aus. In ihrem Stück verknotet sich das Duo aus Israel zum mehrbeinigen Corpus ohne größeren Mehrwert. Und auch Rosana Hribar und Greogor Luŝtek folgen zum zweiten Mal einer Einladung. Das Paar aus Slowenien besticht mit „Duet 012“ durch physische Präsenz, die sie mit einer Art Tanzkampf- und akrobatischer Hebetechnik vermittelt. Einmal erlebt, lässt sich dieser Stil sofort wieder erkennen. Und ähnlich funktioniert auch das Stück „Frozen“ von Yaron Shamir aus Israel. Ein Paar im aggressiven Anflug aufeinander.
Mit staunenswerten Handständen auf Schultern gewinnt die deutsche Kompanie HeadFeedHands das Publikum und den ersten Platz. „(How To Be) Almost There“ zieht in den Bann durch einen Gegensatz: Pure Akrobatik wird aufgelöst in elegante tänzerische Übergänge. Florian Patschovsky und Tim Behren sind ein eingespieltes Team. Während der eine kopfüber stürzt, fängt der andere den Partner zärtlich auf und entlässt ihn, der Schwerkraft nachgebend, sanft auf den Boden. In der Verknüpfung von Circus und Tanz liegen die Überraschungsmomente der Choreografie. Ganz anders ertanzt sich „Un ricamo fatto sul nulla“ von Fabrizio Favale den dritten Platz. Von symbiotischen Strukturen handelt die Arbeit des Italieners für drei Tänzer, die vor dem Hintergrund einer animierten Landschaft ihre Arme wieder und wieder ineinander verschlingen. Wiederkehrende und zugleich abweichende Formationen haben die Jury hier überzeugt. Wie man sich individuell einer gemeinsamen Basis entzieht, erforscht der Japaner Shumpei Nemoto mit „Ugoku“ („sich bewegen“). Wohl verdient gewinnt das Trio für die feine Bewegungsstudie den zweiten Preis.
Bei „No Ballet“ ist wieder viel und auch sehr gut getanzt worden. Dennoch sind sich die Stücke zu ähnlich und die Jury sollte mehr riskieren, die Facetten choreografischer Verfahren im Gegenwartstanz vorzuführen. Das käme dem Profil der Veranstaltung zugute und würde seinem provokanten Namen mehr gerecht. „No Ballet“ versteht sich als Plattform für den zeitgenössischen Tanz. Unabhängig vom Alter können sich Choreografen aller Nationen mit ihren aktuellen Produktionen bewerben. Juliane Rößler, der künstlerischen Leiterin, geht es um Stücke mit zeitgemäßen und überraschenden Ideen. Der 6. internationale Choreografie-Wettbewerb fand dank Fördermitteln der BASF erstmals im Rahmen der Festspiele Ludwigshafen statt. Eine Jury aus Vertretern der Tanz- und Kunstszene ermittelt aus den jährlich etwa 300 Bewerbungen 18 Stücke. Neben dem Publikumspreis erhalten die Gewinner drei Geldpreise im Wert von 7.500 Euro für den ersten, 5.000 Euro für den zweiten und 2.500 Euro für den dritten Platz.
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