Highlights mit Anna Huber, Gilles Jobin oder Guilherme Botelho

Die Zeitgenössischen Schweizer Tanztage 2011

Bern, 08/03/2011

14 Gruppen- oder Soloproduktionen standen auf dem Programm der Schweizer Tanztage, die diesmal in Bern stattfanden (3.-6.März 2011). Das alle zwei Jahre wiederkehrende Festival wendet sich zwar auch ans gewöhnliche Publikum, vor allem aber an Fachleute aus der Theater- und Festivalszene, die nach spannenden Produktionen fahnden. Und natürlich auch an Choreografinnen und Choreografen, Tänzerinnen und Tänzer auf der Suche nach Gleichgesinnten für neue Stücke.

Schauplatz für die 14 Programme waren die Berner Dampfzentrale, die zum Stadttheater gehörenden Vidmarhallen, das Schlachthaus, die Reitschule, die Hochschule der Künste - an kleineren Bühnen fehlt es gewiss nicht in Bern! Alle von einer fünfköpfigen Jury ausgewählten Produktionen kamen zweimal zum Zug. Die meisten sind im vergangenen Jahr entstanden und bereits aufgeführt worden. Gezeigt wurden aber auch eine Uraufführung und eine sogenannte Vorpremiere.

Uraufgeführt wurde das Stück „Aufräumarbeiten im Wasserfall“, ein Teamwork der Tänzerin/Choreografin Anna Huber mit dem bildenden Künstler Yves Netzhammer. Es beginnt mit einer zauberhaften Eröffnungs-Installation: Ballons verschiedener Farbe und Grösse zuckeln auf dem Boden, wo auch ein in Karrees aufgeteiltes leichtes Holzgerüst liegt. An der Rückwand laufen Bildprojektionen ineinander über, eine Mondlandschaft, ein Stilleben, ein blauer Himmel mit Sonne und Vögeln. Der grösste Ballon davor beginnt zu hüpfen, die Wandvideos greifen auf ihn über – und heraus kriecht ein kleines graues Wesen: Anna Huber, im Kapuzenpulli versteckt. Zurückhaltend setzt die Musik von Martin Schütz ein.

Anna beginnt wie ein Kind die Zehen zu erproben, mit den Füssen zu wackeln, die Schultern zu lockern. Sie kriecht von einem Karree zum nächsten, bis sie merkt, dass sich die Holzstäbe heben lassen und sie damit herum hantieren kann. Zwischendurch befreit sie einen der mit Helium gefüllten Ballons von seinen Fesseln, bestehend aus einer Zahnbürste oder einer eingepackten Praline, die Huber genüsslich kostet. Plötzlich explodiert der grosse Ballon hinten mit einem Riesenknall. Es wird hektisch auf der Bühne. Die Tänzerin verheddert sich in den Requisiten, erinnert an einen Zauberlehrling, der die auseinander strebenden Elemente nicht mehr stoppen kann. Doch dann schafft sie es schliesslich, alles zusammenzuraffen – Ballone, Bodengerüst, Stuhl, Lampen – und damit ins Dunkel zu verschwinden. Nach einiger Zeit bedauert man vielleicht, dass Netzhammers wunderbar surreale Farb-Installationen sich nicht mehr weiter entwickeln. Annas Mikrobewegungen stossen ja auch an ihre Grenzen. Doch nun taucht an den Wänden immer häufiger das Bild einer Kunststoffpuppe auf, einem Auto-Dummy gleichend, die sich bewegungsmässig mit der Tänzerin misst. Und, heia, sie kann mehr als diese: Nicht nur mit den Zehen wackeln, sondern diese wie kleine Wasserschnecken davon schwimmen lassen. Oder gar den Kopf vom Körper lösen. Soweit hat es selbst das Bewegungswunder Anna Huber noch nicht gebracht!

„Spider Galaxies“ der Genfer Cie Gilles Jobin ist zwar bereits ein fertiges Stück, doch wurde es in Bern lediglich als „Vorpremiere“ angepriesen. Die eigentliche Uraufführung findet erst Mitte März im französischen Annecy statt. Der Titel weist auf die futuristischen Elemente im Lichtdesign (Daniel Dumont) und erst recht in der Musik hin (Cristian Vogel, Carla Scaletti). Wie die Komposition entstand, kann man im Programmheft nachlesen – was nicht heißt, dass man die komplizierten Abläufe auch versteht! Jedenfalls soll Vogel eine „kontextunabhängige Grammatik-Software“ namens GenMove entwickelt haben, während die Amerikanerin Scaletti „Daten aus dem Teilchenbeschleuniger CERN in die Komposition einfließen“ ließ.

Ein bisschen außerirdisch wirken auch die je zwei Tänzerinnen und Tänzer in „Spider Galaxies“. Susana Panadès Diaz, Isabelle Rigat, Louis-Clément da Costa und Martin Roehrich zeigen Sequenzen und Verschlingungen wie vom Computer entwickelt - nebst typisch Jobin’schen Bewegungssequenzen und improvisiert wirkenden Partien. Aus den verschiedenen Stilelementen ist nicht etwa ein beliebig wirkendes oder kühles Stück entstanden, sondern eine sehr präzis getanzte, originelle, trotz unheimlichem elektronischem Surren oft geradezu poetisch wirkende Choreografie.

Interesse dürfte bei den „Einkäufern“ zeitgenössischer Schweizer Werke auch „Sideways Rain“ der Cie Alias von Guilherme Botelho (Genf) geweckt haben. Das Stück hatte zwar schon vergangenen September Premiere und wurde seither bereits bei Festivals aufgeführt. Doch wünscht man ihm noch weitere Auftrittschancen, so bestrickend ist seine Machart. Rund eine Stunde lang (ungefähr wie die Werke von Huber und Jobin) bewegen sich in Botelhos Choreografie die Tanzenden ohne Unterbruch von links nach rechts. Sie kriechen, hoppeln, spazieren, rennen immer in die gleiche Richtung. Sie gehorchen einem gemeinsamen Sog, entwickeln aber zunehmend ihr eigenes Zeit- und Körpergefühl. Gelegentlich stellt sich einer quer zu den andern. Zu Berührungen kommt es kaum. Einmal bleibt ein Paar stehen, tauscht Blicke aus, mehr nicht. Gegen Schluss ziehen die Tanzenden Elastikfäden über die Bühne, eilen zwischen ihnen weiter. Ihre Kleider gehen verloren, sie sind jetzt nackt. Ihre Bewegungen enden erst, als das Fadengespinst allzu dicht geworden ist.

Beim Zuschauen gerät man selber in eine Vorstufe von Trance. Könnte noch lange zuschauen. Und staunt beim Schlussauftritt, dass es lediglich je sieben Tänzerinnen und Tänzer waren, die den Menschenstrom gebildet haben. Von links nach rechts – und im Hintergrund versteckt zurück.

www.swissdancedays.ch

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