Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt

Gregor Zölligs „Vier Temperamente“

Gütersloh, 19/04/2011

Die Stirn in Weltschmerzfalten gelegt, sitzt Dirk Kazmierczak pathetisch hingegossen auf einem Stuhl. Wie von einer Tarantel gestochen stürmt Gianni Cuccaro herein und überschüttet eine Ahnungslose gestenreich mit einem Furioso an Vorwürfen. „Dies ist mein Tag!“ jubiliert Brigitte Uray, um im Nu aus dem siebten Himmel ihrer Glückseligkeit in die Tiefe todtrauriger Mutlosigkeit zu stürzen. Absolut lust- und antriebslos lamentiert Adrian Look „Ach ja… Nee, nee… Was soll’s…“ und gleitet wie ein Sack vom Stuhl auf den Boden, rappelt sich hoch, sackt wieder weg. Jeder Mensch ist mal Melancholiker, Choleriker, Sanguiniker oder Phlegmatiker. Die richtige Balance zu finden zwischen den Gefühlszuständen – das kann ein ganzes Menschenleben dauern.

In Gregor Zölligs Choreografie „Vier Temperamente“ entpuppen sich vier Klumpen auf dem weißen Sand, den Wilson Mosquera Suarez glatt zu harken bemüht ist, als junge menschliche Strandläufer in Badehosen und Bikini. Fröhliche Spiele, Turteleien, Rangeleien heben an und enden in einem heillosen Kuddelmuddel von Körpern und Klamotten. Zwischendrin sorgt Miranda Hania in spektakulärer Robe, die Marion Cito für Helena Pikon in einem Pina-Bausch-Stück hätte entwerfen können, im Ambiente des mediterranen Innenhofs für stille, poetische Momente. Schließlich trifft man sich wieder – fünf Weiblein dort, fünf Männlein hier – behäbig und tatterig geworden, und wagt ein Tänzchen. Bauschs „Kontakthof mit Damen und Herren ab 65“ läßt herzlich grüßen.

Die anspruchsvolle musikalische Auswahl von Gustav Mahler (fünf Rückert-Lieder, gesungen von Mélanie Forgeron) bis Kurt Weill (Kleine Dreigroschenmusik) unterstreicht oder konterkariert die dezent hintergründigen, fetzig ulkigen Tanzszenen.

Das elegante Gütersloher Theater, neuer Partner des Tanztheaters Bielefeld, bot den perfekten Rahmen für die erste Premiere dieser Choreografie; weiter geht’s im Stadttheater Bielefeld. Das Gegenstück zu den Temperamenten, Charaktere von und mit 100 Laien in der Erfolgsserie „Zeitsprung“, entsteht ebenfalls als Koproduktion (Premiere „Characters I“ am 6. Mai in Gütersloh, „Characters II“ am 11. Juni in Bielefeld).

www.theater-bielefeld.de

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