Japser in der Klangtapete

Das „Gast/Heimspiel“ mit Uraufführungen von Bridget Breiner und Douglas Lee

Stuttgart, 02/07/2011

Wenig aufregend beendete das Stuttgarter Ballett den Premierenreigen seiner Jubiläumsspielzeit mit zwei Uraufführungen der scheidenden Ersten Solisten Bridget Breiner und Douglas Lee. Wegen der Renovierung des Schauspielhauses fand der Abend als „Gast/Heimspiel“ im Ausweichquartier Theaterhaus statt. Gauthier Dance hat vorgemacht, wie man hier die Säle füllt, den Staatstheatralen gelang es noch nicht so ganz. Auf der eher schmalen, technisch wenig Raffinessen bietenden Bühne des größten Saales ist der Tanz sozusagen auf Noverre-Bedingungen reduziert: es zählt die reine Bewegung. Zwischen den trockenen Brötchenhälften der neuen Werke aber sind drei verlockende Miniaturhäppchen eingelegt, sie zumindest sorgen für Freude an dem nur viermal gespielten Abend.

Mit ein paar windschiefen Grashalmen deutet Bridget Breiner ein weites Land an, leicht Prärie-timbriert klingt auch bei aller Seriosität das „Double Bass Concerto“ ihres amerikanischen Landsmanns Edgar Meyer, das dem Ballett seinen Namen gibt. Wesentlich fließender wirkt hier der Tanz als in Breiners verspielten, ironisch gebrochenen Arbeiten, athletischer und weiter, und leider ein wenig beliebiger. In langen, wehenden Hosenröcken gleiten die Tänzer übers Land, wie eine Ringeltaube unter Möwen taucht dann im zweiten Satz Laura O’Malley mit ihrem einfachen Trikot auf. Manchmal sieht es aus, als wehten die Zugvögel aus Jiří Kyliáns „Vergessenem Land“ durch Mats Eks „Grass“. Breiners Choreografiestil bleibt auch hier musikalisch und abwechslungsreich, neigt aber zur tanzintensiven Betriebsamkeit, wie sie die Amerikaner gerne sehen; darüber geht die Konzentration aufs Wesentliche verloren.

Douglas Lee variierte zum Abschied noch einmal das Stück, das er seit zehn Jahren macht. Der erste Solist, dessen Auftritte in den letzten Spielzeiten immer seltener geworden waren, verlässt genau wie Breiner die Kompanie nach dieser Spielzeit, er wird freier Choreograf und beglückt andere Städte mit seiner introvertierten Ästhetik aus extrem durchgedrückten Armen und Rücken, verkrampft abgeknickten Handgelenken, puppen- oder robotergleich agierenden Individuen, die sich auch in den verschlungensten Duos nicht ein einziges Mal ansehen. Man weiß nie, ob man unendliches Mitleid mit diesen einsamen Figuren und ihrem Erfinder haben soll oder ob einem das prätentiöse Verbiegen nur einfach auf die Nerven geht. Die „Miniatures“ wählten ein schickes Hellgrau und minimalistisches Klavierklingeln als Rahmen, die bravourösen Stuttgarter Tänzer geben dem Kollegen ihr Bestes, wie seit Jahren.

Wie ein einziger Blickkontakt ein ganzes Theater in Hochspannung versetzen kann, beweist Altmeister Hans van Manen. Nicht jeder Zuschauer hatte seine „Two Pieces for Het“ bei der großen Jubiläumsgala im Februar gesehen, das war dem lauten Japser beim Anblick von Marijn Rademakers Rückseite im fast vollständig durchsichtigen Kostüm zu entnehmen. Der Pas de deux zu Musik von Errki-Sven Tüür und Arvo Pärt variiert van Manens Lieblingsthema, das Knistern zwischen Mann und Frau, das sich hier vom intellektuellen Flirt zu tragischer Tiefe weitet. Konzentriert, ernster und fraulicher als sonst bot Alicia Amatriain dem blonden Holländer einen starken Widerpart.

Marco Goeckes Solo „Mopey“ gehört zu den Frühwerken des inzwischen international bekannten Stuttgarter Hauschoreografen, es entstand 2004 in New York (zwar im Auftrag von Peter Boal, aber nicht für Peter Boal, wie es im Programmheft steht, sondern für Sean Suozzi, seinen Kollegen vom NYCB – damals noch mit einem zweiten Teil zu Musik der Rockgruppe The Cramps). Hier wird es zum virtuosen, federleichten Spielball des neuen Goecke-Spezialisten Friedemann Vogel. Immer wieder verschluckt ihn die Dunkelheit, geradezu übermütig betreibt Goecke zur Musik von Carl Philipp Emmanuel Bach sein Spiel mit den Ultrakurzassoziationen (einmal ohrfeigt sich der Solist tatsächlich von der Bühne), variiert ständig Tempo und Dynamik, lässt dunkle Zweifel unter der Bachschen Heiterkeit aufblitzen. So ungewöhnlich, nervös oder zweideutig man seinen Stil auch finden mag: Goecke spielt und tanzt mit der Musik, wo Douglas Lee sie als Klangtapete neben seine Bewegungsstudien setzt.

Elvis Presley ist nicht gerade der typische Lieferant für Ballettmusik. „Little Monsters“ entstand zu drei seiner Liebesballaden im März für den Erik-Bruhn-Preis in Toronto, den nach Meinung sämtlicher kanadischer Kritiker und des dortigen Publikums die beiden Stuttgarter Talente Elisa Badenes und Daniel Camargo gewinnen müssen hätten. Jetzt zeigten die Spanierin und der Brasilianer das kurze Duo von Demis Volpi in Stuttgart, einen zärtlich-irritierenden Pas de deux im Dunkel. „Love me tender“ singt Elvis und genau das macht Badenes, streicht ihrem Partner in einem magisch-geometrischen Vexierspiel der Arme zart über Hals und Gesicht. Sparsam ist dieser Tanz, rührt sich minutenlang nicht vom Fleck, und fasziniert doch durch seine ungewöhnlichen, zarten oder ironisch-gebrochenen Bilder. Volpi kann den Blick auf einer weiten Bühne auf winzige Details konzentrieren, seine Ballerinen wirken durch ihren angeschrägten, scharfen Spitzentanz immer etwas wilder und aggressiver: moderne Frauen. „Hold me close“, singt Elvis, und das kann richtig schmerzhaft werden, mit Schlingen und Klammern, Werfen und Rollen. Während die Geliebte hinten im Dunkel zu verblassen droht, erinnert der Mann sich an ihre zarten Berührungen. Zwei formidable Interpreten, ein Choreograf voll Fantasie und originellen Einfällen: Das war der Blick in die Zukunft des Stuttgarter Balletts, kein Zweifel.

www.stuttgart-ballet.de
www.bridgetbreiner.com
www.douglaslee.net

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