„Love Stories“ von Judith Jamison

„Love Stories“ von Judith Jamison

Noch zündet der Ensemble-Funke

Das Alvin Ailey American Dance Theater wieder auf Europa-Tour

Berlin, 19/07/2011

So viel Beifall war nie. Selbst die Aufforderung, doch die Handys abzuschalten und alle Ton- und Bildaufnahmen bleiben zu lassen, findet ein begeistertes Echo – und jeder Auftritt des Alvin Ailey American Dance Theater wird applausbegleitet ganz automatisch zu einem Großereignis, das über alle Kritik erhaben scheint. Dabei ist doch nur zu offensichtlich, dass das AAADT den Tod seines Gründers zwar eindrucksvoll bewältigt hat, aber letztlich noch immer von dessen Erbe zehrt: Auch im fünfzigsten Jahr ist allein sein Opus magnum „Revelations” eine Offenbarung, das die Standing Ovations der Zuschauer mehr als rechtfertigt.

Ebenso scheint das Ensemble, seit 1. Juli von Richard Battle geleitet, in bester Verfassung, und dieser Umstand ist es letztlich, der Choreografen wie Judith Jamison, Robert Battle und Rennie Harris vermutlich zu ihren Virtuositätsvariationen verführt. Da kann eigentlich nichts danebengehen, wenn Matthew Rushing gleich zu Anfang der „Love Stories“ gleichsam sein Licht leuchten lässt und als Gruß in den Bühnenhimmel schickt: Der Ensemble-Funke zündet schließlich noch immer, und die zwölf „Sportplatz-Beauties“ (Klaus Geitel) tanzen so, als hätten sie Feuer unter den Füßen: unablässig in Bewegung und so energiegeladen, dass das Publikum gar nicht erst zur Besinnung kommt. Denn so viel tut sich im Grunde nicht, auch wenn eine Nummer die andere jagt. Am Ende erweist sich der Showdown gar als ein Sammelsurium unterschiedlichster Tanzstile. Funktionieren tut er trotzdem.

Da ist die Solo-Version von „Takademe“ um einiges ergiebiger. Statt der dreißig Minuten (wie die „Love-Stories“) dauert sie allerdings nur drei, aber in denen fällt Kanji Segawa von einem Tanzextrem ins andere – ganz so, wie man das aus dem indischen Kathak her kennt. Den hat Robert Battle in seiner beat-getriebenen Choreografie allerdings so durch den Reißwolf gedreht, um nicht zu sagen: dekonstruiert, dass er kaum noch als solcher zu erkennen ist, aber immer noch etwas Eigenes besitzt. Dazu die „Musik“ von Sheila Chandra, die nichts anderes als Nrtta ist, skandierter Silbengesang. Sie eignet sich vorzüglich dazu, jeden einzelnen Körperteil auf seine Kraft und Beweglichkeit zu testen. Gänzlich ungedopt, kann sich das Ergebnis in toto sehen lassen.

Kraftvoll auch „The Hunt“, eine Kampfsport-Choreografie von Robert Battle. Ursprünglich für Ailey II entstanden, erinnert das Stück zwar ein wenig an „Troy Game“ von Robert North. In rot unterfütterten schwarzen Röcken hat das Stück am Ende aber etwas von einem atavistischen Ritual, das möglicherweise eine Jagd vorbereiten soll. Dazu passend die lautstarken Trommelrhythmen der Tambours de Bronx, die selbst Tote zum Leben erwecken könnte. Kein Wunder also, wenn sich Jermaine Terry, Antonio Douthit, Kirven James Boyd, Yannick Lebrun, Glenn Allen Sims und Marcus Jarrell Willis ins Zeug legen und ihre Power permanent zu einem physischen Ereignis machen.

Von der Filmdokumentation „Celebrating ‚Revelations’ at 50“ eingestimmt, lässt das abschließende Meisterwerk allerdings alles Vorangegangene vergessen. Und das ist gut so, denn es zeigt, dass der Tanz immer noch dann am ehesten überzeugt, wenn er aller äußerlichen Ästhetik zum Trotz so etwas wie eine Botschaft transportiert. Von Alvin Ailey einst grandios und geistreich choreografiert, erreicht sie noch immer die Menschen in aller Welt unmittelbarer als andere Arbeiten.

Weitere Gastspiele des Alvin Ailey American Dance Theater in Zürich, Theater 11 vom 19. bis zum 31. Juli sowie vom 2. bis zum 14. August in der Kölner Philharmonie, vom 16. bis zum 21. August in der Alten Oper Frankfurt/Main und vom 23. bis zum 28. August in der Hamburgischen Staatsoper

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