Surrealismus in familienfreundlichen Farben

Plan D gastiert mit „Santa Sangre“ in München

München, 04/05/2011

Wie eine Gewitterwolke hängt der Tod des Elefanten über der kleinen Zirkustruppe. Ein Messerwerfer, ein Zauberer und eine Stepptänzerin kämpfen ums Überleben: Wer soll jetzt die Leidenschaften der Mitglieder ins Gleichgewicht bringen, wer trägt all die kleinen und großen Nummern auf seinem starken Rücken zum Publikum? Die neue Seiltänzerin scheint zu schwach zu sein, um diese Aufgabe zu übernehmen...
So weit die Handlung von „Santa Sangre“, dem neuen Jugendstück der Kompanie Plan D aus den Niederlanden. Es feierte in der Münchner Schauburg Deutschlandpremiere und kam gut an, obwohl bestimmt die Wenigsten alle Ebenen des Werks erfassen.

An der Oberfläche steht Evas (Eva Vrieling) Weg ins Herz der Zirkusfamilie, speziell das der Chefin Monika (Monika Haasova). Die beiden Figuren sind eigentlich Mutter und Tochter: Die Ältere schimpft, fordert, verzeiht und ermutigt, die Jüngere gehorcht, strebt, entwickelt eigene Fantasie – eine Beziehung, die Kinder und Jugendliche leicht ins Geschehen zieht, ebenso wie die Tricks und Zaubereien der Truppe. Die Mädchen hassen sich, mag man am Anfang denken. Doch Choreograf Andreas Denk und Dramaturgin Dagmar Schmidt servieren einige saftige Szenen, die alles verändern. Etwa einen Pas de Deux zwischen Monika und Messerwerfer Andi (Denk), die sich sowieso laufend in die Wolle kriegen und auch tanzend ringen und prügeln. Ganz besonders machen aber ein paar wüste Gruppenszenen Spaß: Eine besonders rauschende Vorstellung, in der die beiden zu einem dreibeinigen Pferd zusammen geschweißt sind, oder ein verrücktes Abendessen, bei dem die Männer zum Spaghetti-Duell antreten, zuletzt sogar die Tafel wegfliegen lassen. In ihnen findet eine schleichende Verbrüderung von Eva und Monika statt, die den Elefantenschatten auf magische Weise auflöst. Beim Happy End wird Eva schlussendlich ein Teil von Monikas großer Nummer. Sie leiht der Chefin die Arme, wächst mit göttlichem Lächeln auf Elefantengröße heran.

Doch es steckt mehr in „Santa Sangre“. Da wäre zum Beispiel der tote Elefant. Oder ein Angriff von Monika auf Andis Genitalien. Monikas Hand, in die sich Andi verbeißt und die Monika sich selbst absägen muss. Und schließlich das Motiv der geliehenen Arme... Eingefleischte Filmfans werden erkennen, dass es sich hier um Elemente aus dem surrealistischen Film „Santa Sangre“ von Großmeister Alejandro Jodorowsky („El Topo“) handelt. Ein Werk, das freilich nicht für Kinder konzipiert ist. Mit dem Kniff, ihn zum Vorbild zu nehmen und daraus familienfreundliche Unterhaltung zu machen, hat Plan D ein kleines Meisterwerk hin bekommen. Was Jodorowsky in fulminanten, aber auch verstörenden Bildern erzählt, lassen die Tänzer nur durch Körpersprache, Artistik-Requisiten und ganz wenige Worte im Kopf des Zuschauers als pure Emotion entstehen. Fremdsein, Verlustängste, Geborgensein in der Mutter – das sind universelle Gefühle, die auch junge Menschen kennen. „Santa Sangre“ greift sie vielfarbig auf und lässt dabei ein gutes Gefühl zurück. Dass bei allem surrealen Slapstick der Tanz etwa zu kurz kommt, ist daher verzeihlich.

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