Eigene Fantasie und fremde Träume
Das „Alonzo King Lines Ballet“ im Ludwigshafener Pfalzbau
Wer in die Stadt der Golden Gate Bridge kommt und nur auf das San Francisco Ballet abonniert ist, dem raten Eingeweihte bald, doch unbedingt auch eine Vorstellung des Alonzo King LINES Ballet zu besuchen. Heute, ein Jahrzehnt später, ist die zweite wichtige Kompanie der kalifornischen Metropole längst kein Geheimtipp mehr. Gegründet hat sie ihr Namenspatron 1982, sie seither mit über 100 Balletten ausgestattet und als Choreograf mit dem Konzept vom Zusammenklang der Künste Weltruhm erlangt. Führende Gruppen in Stockholm, Monte Carlo, New York, Hongkong tanzen seine Arbeiten, über ihn selbst ist weniger bekannt. Auch Wikipedia weiß nicht sein Alter, nur dass er einer Familie entstammt, die sich im Kampf um Rassengleichheit engagierte, und er bedeutende Schulen absolvierte: die Harkness School, die Alvin Ailey Dance School, die School of American Ballet, dann in der Harkness Youth Company, als Praktikant beim Alvin Ailey American Dance Theatre, im Dance Theatre of Harlem, nach der Rückkehr aus Europa bei Bella Lewitzky in Los Angeles.
Auch in der Alten Welt hat sein LINES Ballet inzwischen Spuren hinterlassen, ob bei der Biennale Venedig, bei Festivals in Monaco, Edinburgh, Montpellier, Holland, Wolfsburg. Im Jahr 30 seines Bestehens vereint es drei repräsentative neuere Werke auf einer DVD, die Kings Personalstil umreißt: als durch Jazz und Modern Dance erweitertes Neoklassisch von immenser Dichte, Brillanz und Virtuosität, ohne je in Zirzensik abzudriften. Mit Genies wolle er arbeiten, sagt King im Bonus-Interview, brauche Partner, keine leeren Tassen, die erst mit Ideen gefüllt werden müssen. Bewegung sieht er als wesentlichen Ausdruck von Leben, versteht sich als Textdichter, der stets die besten Interpreten suche.
Was die DVD vorzeigt, rechtfertigt seine selbstbewussten Äußerungen.
Das einstündige „Triangle of the Squinches”, erst 2011 uraufgeführt, erforscht nicht weniger und nicht mehr als die Resonanz von Körper und Raum. Christopher Haas hat dafür zwei unterschiedliche Dekorationen geschaffen: einen Vorhang aus elastischen Strippen für den ersten, eine Zickzack-Wand aus Pappe für den zweiten Teil. Mit Robert Rosenwassers Kostümen, von ähnlich grober Struktur wie die verfugten Pappschichten, entsteht bereits ein Kunstwerk. Zur Auftragsmusik von Mickey Hart, der kosmische Klänge einbezieht, etwa von Jupiter und Sonne, kreierte King eine vibrierende intergalaktische Sinfonie, in deren Verlauf der Strippenvorhang zu jener Zickzackform verändert wird, die der zweite Teil aufnimmt. Geheimnisvolles Licht umspielt die ausgesucht wohlproportionierten und langbeinigen Körper, die sich in kleiner Formation einander nähern, sich verhakeln, auslenken, durchdringen, so geschmeidig und organisch, dass man sich kaum sattsehen kann. Wird in Teil 1 die Strippenwand zunehmend durchlässig, verwandeln die Tänzer im folgenden Teil den Papp-Zickzack in zwei sich vorwärts wälzende Kampftürme, wie antike Kriegskunst sie nutzte. Eins mit dem Weltraumklang erscheinen die Körper, selbst wenn ihre Welt kippt und pulst.
„Scheherazade” von 2009 hat mit der titelgebenden Ballets-russes-Vorlage nicht mehr viel gemein. Einzig das zentrale Thema aus Rimski-Korsakows Komposition klingt an, jedoch in Zakir Hussains faszinierender Umsetzung für indische Perkussion. Im Zentrum der 45-minütigen Annäherung steht das lange Duett der Hauptheldin mit ihrem Bezwinger, eine Belagerung voller Kampf, teils mit gemeinsamer Fußfessel, bis zum Sieg gegenseitiger Liebe, eine orientalische Fantasie ohne jegliche der gängigen Orientalismen in der tänzerischen Form. Langsame Sätze aus Arcangelo Corellis „Concerti grossi”, zweimal kurze Choralgesänge von Francis Poulenc, hat King schließlich als Musikfolie für „Dust and Light” von 2009 genutzt, eine halbstündige Abfolge intensiver Duette voll originärer Hebe- und Schleuderfiguren, voller Sehnsüchte und Trennungen, Klagen und Begehren. Barocke Plastizität erzielt er auf diese Weise mit gänzlich heutigem Bewegungsmaterial in atmophärischer Stimmung, wie sie auch das Licht zeugt, vor allem aber der bedingungslose Einsatz einer wunderbaren Tänzercrew. Auf flachem Fuß wirken die Frauen ebenso souverän wie auf Spitze, besonders im dritten Teil. Neben Meredith Webster, Laurel Keen überzeugt eine so vitale wie dennoch feingliedrige Männermannschaft, David Harvey, der tänzerisch wie technisch atemberaubend prägnante und präzise Michael Montgomery. Unbedingt kaufenswert! Alonzo King LINES Ballet: Triangle of the Squinches/ Sche-herazade/ Dust and Light/Bonus-Material; 155 Min.; Arthaus Musik, 2011 DVD bei Amazon bestellen!
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