"Castor und Pollux" von Martin Schläpfer. Sachika Abe (Tänzerin), Alma Sadé (Télaïre), Marcos Menha (Tänzer), Chor der Deutschen Oper am Rhein
"Castor und Pollux" von Martin Schläpfer. Sachika Abe (Tänzerin), Alma Sadé (Télaïre), Marcos Menha (Tänzer), Chor der Deutschen Oper am Rhein

Aus der Mode-Boutique der Sally Potter

Rameaus Ballettoper "Castor und Pollux" an der Deutschen Oper am Rhein

oe
Düsseldorf, 02/02/2012

„Castor et Pollux“, Tragédie mise en musique in fünf Akten und einem Prolog, aus dem Jahr 1737: das war 1962 bei den Schwetzinger Festspielen unser deutsches Erweckungserlebnis des bedeutendsten französischen barocken Opernkomponisten Jean-Philippe Rameau. Damals als Gemeinschaftsproduktion der Städtischen Bühnen Essen und des Folkwang Tanztheaters mit streng getrennten Kompetenzen: Inszenierung: Erich Schumacher, Choreografie: Kurt Jooss (Bühnenbild und Kostüme übrigens vom blutjungen Jean-Pierre Ponnelle). Unter den Sängern damals immerhin Gerd Feldhoff, Donald Grobe, Melitta Muszely und Anny Schlemm, deren Namen noch heute geradezu nostalgieverklärten Ruhm genießen. Unter den Tänzern, die heute als Ikonen der Tanzgeschichte fungieren: die gerade zweiundzwanzigjährige Pina Bausch, Georg Groke, ein Altmeister des deutschen Ausdruckstanzes, Anne Woolliams, die Cranko dann beim Aufbau des Stuttgarter Balletts und der Stuttgarter Ballettschule assistierte, Ulrich Röhm (noch ohne oe), der Mann, der heute mit dem Deutschen Tanzpreis identisch ist, weiter Winfried Krisch, Dieter Klos, Michael Diekamp etcetera pp.: Gründerväter und -mütter des deutschen Balletts nach dem Zweiten Weltkrieg. Welch eine Adelssliste!

Wird es den Produzenten der heutigen Düsseldorfer Einstudierung von Rameaus „Castor und Pollux“ ähnlich ergehen? Inzwischen hat es immerhin eine Reihe von Rameau-Produktionen von Welttheater-Format gegeben: vor allem seiner populären „Platée“ in der Nachfolge von Mark Morris, seiner „Borréades“ in Paris (und sogar von Marco Santi und Christian Spuck in Stuttgart), die sensationellen „Les Indes galantes“ von Spoerli in Zürich (dort auch „Zoroastre“). Da kann die Düsseldorfer Version, für die erstmals Martin Schläpfer als Choreograf und Regisseur verantwortlich zeichnete, mit rosalie als Ausstatterin, kaum mithalten. Das liegt freilich ganz und gar nicht am Düsseldorfer Generalmusikdirektor Axel Kober, der mit der Düsseldorfer Hofmusik und den Solisten der Deutschen Oper am Rhein einen fulminanten Rameau musiziert und dabei eine erstaunliche Affinität zu solchen Meistern der historischen Aufführungspraxis wie Harnoncourt, Christie und Minkowski beweist, sondern an dem verschrobenen Inszenierungs-Choreografie-Ausstattungs-Konzept.

Was Schläpfer und rosalie auf der Bühne der Deutschen Oper am Rhein präsentieren, entspricht so ganz und gar nicht unseren heutigen Vorstellungen, wie derartige Ballettopern des Barock dem heutigen Publikum unserer Opernhäuser verständlich und überzeugend vermittelt werden können. Und das ist schade. Nicht zuletzt, weil Düsseldorf-Duisburg in der Ära des unvergessenen Grischa Barfuß einmal Schrittmacher der Monteverdi-Renaissance via Erich Kraack, Erich Walter und Heinrich Wendel war (lange bevor Harnoncourt und Ponnelle in Zürich auf sich aufmerksam machten). In Düsseldorf/Duisburg schien Christoph Meyer sich ebenso für Rameau einsetzen zu wollen: Zuerst mit „Les Paladins“, dann mit „Platée“ und jetzt also mit „Castor et Pollux“. Wobei zu hoffen steht, dass er damit noch nicht am Ende angelangt ist, denn „Les Indes galantes“ und „Borréades“ scheinen zwei weiteres Rameaus zu sein, die eigentlich Schläper liegen müssten.

Was „Castor und Pollux“ angeht, das hohe Lied der aufopferungsbereiten Zwillingsbrüder, so scheint es in der Ausstattung von rosalie geradewegs aus der Mode-Boutique der Harry Potter Schwester Sally zu kommen: ein Tragic (im Gegensatz zum Comic) aus der Fantasy-Welt von lauter Zombies. Die großen Chöre in dem elysäischen Paradies wie im Tartarus scheinen gewandet wie eine Mischung aus der Nürnberger Schlafmützengesellschaft der „Meistersinger“, gekreuzt mit den Schneider-Wibbel-Figuren des Düsseldorfer Karnevals. Und die Göttergestalten in schwarzen Turnschuhen, beziehungsweise auf Plateausohlen-Kothurnen wie mit Bremsklötzen behaftet, staksen schwerfällig durchs Geschehen, wenn sie nicht gerade von Stromstößen der Choreografie getroffen wie Zappelphilippe durch den Raum kobolzen. Dabei soll nicht übersehen werden, dass die Aufführung einige bewegend-anrührende Momente bietet wie das himmlische Quartett, das wie eine Vorwegnahme des berühmten „Idomeneo“-Sextetts erscheint – wenn die Beteiligten fast gar nichts tun und doch die zartesten Gefühle zwischen ihnen hin und her schwingen. Doch insgesamt verzappelt die Choreografie Rameaus erhabene Grazie und Anmut. Was sich auf der Bühne in Düsseldorf tut, ist eine Art „Gay Liberty“-Ballettical, das sich nicht recht traut à la Thomas Manns „Wälsungenblut“ – hier nun also als „Dioskurenblut“. Der hinreißenden musikalischen Opulenz zum Trotz, und zum Trotz auch der aufopferungsvollen Sänger und Tänzer, die diese scheußlichen, ausgesprochen un-sexy wirkenden Kostüme wie mechanische Figuren in Bewegung versetzen.

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