„Ich strebe nach reiner Liebe“

Chinas Ballerina Yun Wang gastiert als Nikiya in München

München, 17/09/2012

Yun Wang aus Liaoning ist gefragt wie nie, seit sie den Internationalen Ballettwettbewerb in Helsinki gewonnen hat. Die vielfach preisgekrönte Chinesin eroberte die Jury unter anderem mit schwerelosen Drehungen, verspieltem Charme und einer perfekten, klassischen Linie. Obendrein brachte ihr der „Nussknacker“-Pas-de-Deux den Kirov-Preis für die beste Tschaikowski-Interpretation ein. Münchens Ballettdirektor Ivan Liška war dabei – und lud Yun Wang sofort als Gast-„Bayadere“ an die Isar.

Frau Wang, Sie haben schon internationale Wettbewerbe in Liaoning, Seoul und Beijing gewonnen. Warum denken Sie, haben Sie nun auch in Helsinki den ersten Platz erreicht?

Yun Wang: Ich habe dort mit meinem Tanzpartner und Lebensgefährten Jiao Yang den „Nussknacker“- und den Don-Quixote-Pas-de-Deux gezeigt. Wir sind beide in der Liaoning-Kompanie und tanzen zusammen, wann immer es geht. In Helsinki nun hatte ich schon in der ersten Runde viel höhere Noten als die Konkurrenz. Das lag wohl daran, dass ich nun mal Wert auf Gefühle lege. Viele Tänzerinnen konzentrieren sich nur auf eine spektakuläre Technik.

Um Emotionen auszudrücken bedarf es einer gewissen Reife. Sie sehen sehr jung aus...

Yun Wang: Ja, viele fragen mich, ob ich 16 oder 17 bin! Aber ich bin 24. Damit bin ich zwar nicht so erfahren wie ein über 30-jähriger Tänzer, aber zum Glück noch jung genug, um die dynamische Seite von Emotionen darzustellen. Ich strebe nach reiner Liebe!

Haben Sie eine Lieblingsrolle?

Yun Wang: Die „Kameliendame“. Der Roman ist wundervoll, und auch John Neumeiers Ballett hat einen wunderschönen Stil. Die Rolle der Marguerite ist so schön und traurig. Sie hat so vieles erlebt und ist so voller Hoffnung, doch dann stirbt sie an Traurigkeit. Ich würde sie so gerne einmal tanzen.

Kein Problem, das Bayerische Staatsballett hat die „Kameliendame“ im Repertoire, ebenso wie andere deutsche Kompanien. Können Sie sich vorstellen, Liaoning zu verlassen und für längere Zeit oder für immer im Westen zu tanzen?

Yun Wang: Ja, das wäre schon möglich. Es kommt aber immer darauf an, ob auch mein Freund Jiao aufgenommen würde. Vor einiger Zeit waren wir mehrere Monate in Kanada und den USA. Das war beeindruckend und natürlich inspirierender als ein kurzes Gastspiel.

Ihre Heimat Liaoning ist in Deutschland relativ unbekannt. Gibt es dort eine lange Balletttradition?

Yun Wang: Die Kompanie Liaoning gehört zu den fünf besten Kompanien in China, sie ist nur nicht so bekannt wie die großen Ballette von Beijing oder Shanghai. Liaoning ist der Name unserer Provinz. Die Liaoning-Kompanie ist in der Hauptstadt Shenyang im Liaoning Grand Theatre zuhause, einem sehr großen, modernen Theater. Unsere Ballettakademie hat 600 Studenten und ist die größte in ganz China. Kurz, Liaoning ist in China bekannt für exzellenten Tanz.

Wird dort auch nach dem klassischen Waganowa-System gelehrt?

Yun Wang: Ja. Die Dozenten kommen fast alle aus Russland, von großen, nationalen Theatern.

Wie hoch ist in China Ballett angesehen? In Deutschland ist es stets der Oper untergeordnet.

Yun Wang: Das ist in China auch so. Die Peking-Oper steht weit voran an erster Stelle. Aber gleich danach kommt Ballett. Der Einfluss der Peking-Oper erklärt auch die besonderen Vorzüge chinesischer Tänzer. In ihnen lebt die chinesische Klassik, ein ganz anderes dramatisches Herangehen an eine Rolle. Das ist es, was die Zuschauer auch so gerne an Yuan Yuan Tan mögen, glaube ich, die als Principal Dancer in San Francisco sehr erfolgreich ist – und die ich sehr verehre.

Haben Sie noch andere Vorbilder?

Yun Wang: Svetlana Zhakarova. Und, hier aus München, Lucia Lacarra. Sie ist so wunderschön, ihr Spann ist sensationell! Als das Bayerische Staatsballett letztes Jahr in Shanghai ein Gastspiel gab, habe ich mir das natürlich angesehen. Ein modernes Stück, ich weiß nicht mehr wie es heißt, hat mir besonders gefallen.

Werden auf chinesischen Bühnen viele moderne Stücke gezeigt?

Yun Wang: Schon, aber unsere Ballettdirektoren setzen es doch anders um als die Europäer oder Amerikaner. Ich selbst möchte nicht nur klassisch tanzen. Als Tänzer hat man wegen des drohenden Alters so wenig Zeit. So lange ich nicht verletzt bin, akzeptiere ich deshalb alle Tanzarten.

Erzählen Sie uns noch, wie Sie Ehrenbürgerin von Hawaii wurden?

Yun Wang: Oh, das war eine Überraschung! Nach einer Wohltätigkeitsgala in Los Angeles kam plötzlich der Gouverneur zu Jiao und mir und überreichte uns zwei Urkunden. Er war für die Gala extra nach Kalifornien gereist und war so begeistert von unserer Darbietung – einerchinesischen Choreografie – dass er uns spontan zu Hawaiianern machen wollte.

Das Bayerische Staatsballett startet mit der Wiederaufnahme von „La Bayadere“ in die neue Saison. Termin: 21.9., 20 Uhr, Nationaltheater. Yun Wang tanzt die Nikiya am 28.9. und 4.10., Svetlana Zakharova am 5. und 13.10.

 

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