Mehr als „10 Odd Emotions“
Beim neuen Stück von Saar Magal bleiben Fragen offen
Die israelische Choreografin Saar Magal mit „Hacking Wagner“ anlässlich der Münchner Opernfestspiele
Mit seinem „Ring um den Ring“ übersetzte der große Maurice Béjart 1990 Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ für die Deutsche Oper Berlin in ein mächtiges Tanzepos. Einen „Ring um den Ring“ ließ heuer Staatsopernintendant Nikolaus Bachler um die in seinen Münchner Opernfestspielen zentrale „Nibelungen“-Tetralogie legen – in Form von Kunstaktionen, Konzerten, Lesungen und Performances. Den Abschluss macht die israelische Choreografin Saar Magal mit der Performance „Hacking Wagner“, einer Hinterfragung des Wagner-Interdikts in Israel.
Wagner-Musik wird man in einer Bearbeitung von Moritz Gagern hören. Verspätet kommt Saar Magal zum Interview – einer ihrer Tänzer ist gestürzt. Die harten Endproben , draußen in den Bavariastudios, die Übermüdung nach nur drei Stunden Schlaf, das ist der aparten Frau, blasser Teint, jugendliche Wuschelfrisur, nicht anzusehen. Sie ist offensichtlich an Jetset-Künstlerstress gewöhnt.
Zwischen ihrer Geburtsstadt Tel Aviv, New York, Brüssel, Moskau, Mailand und Warschau realisiert die Absolventin des renommierten Londoner Laban Centre for Movement ihre Tanzperformances, choreografiert seit 1997 auch kontinuierlich für den Regisseur Krzysztof Warlikowski. So unter anderem für seine „Eugen Onegin“-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper, für „Parsifal“ an der Pariser Oper.
„Meine erste Begegnung mit Wagner“, sagt Magal. In Israel, wo Richard Wagner nicht aufgeführt wird wegen seiner antisemitischen Einstellung, besonders aber wegen der Aneignung seiner Kunst durch die Nazis, hat die Gesellschaft keinen Zugang zu seinem Werk. Als die Staatsoper Saar Magal beauftragt, ein Stück über Wagner zu machen, ist ihr sofort klar: „Das einzige, was ich tun kann, ist die Debatte um das Nichtvorhandensein von Wagner in unserer Kultur auf die Bühne zu bringen“. „Hacking“, wie trendig zugkräftig auch immer als Titel, bedeutet hier also nicht ein zerstörerisches Eingreifen, sondern steht für das Forschen nach dem Warum des Wegschweigens. Die Antwort ist ihr, einer Enkelin von Holocaust-Überlebenden, natürlich nur allzu bewusst.
In Israel, so Magal, sei der Holocaust eine immer gegenwärtige Erinnerung, selbst für jene, deren Familien nicht betroffen waren. Der „Wagner-Bann“ sei letztlich zu einer sozialen Norm geworden, die von der Öffentlichkeit unreflektiert akzeptiert werde. Und Magal weiter zu ihrem Konzept: „In meiner Arbeit gehe ich hinein in diese Idee, dass wir, also die dritte Generation, diese Erinnerungen wieder leben – Erinnerungen, die nicht die unseren sind. Dabei will ich Wagner weder anklagen noch rechtfertigen. Ich möchte lediglich herausfinden, und zwar körperlich, emotional und intellektuell, was Wagner, beziehungsweise die ‚Leerstelle Wagner’, in meiner Kultur bedeutet, einerseits. Und andererseits, warum er in Deutschland fast wie ein Heiliger verehrt wird.“
Eine Gegenüberstellung, die choreografisch nicht leicht einzuholen scheint. „Ich arbeite nicht nur mit Bewegung“, hält Magal dagegen, „sondern auch mit Texten, mit Schauspiel, mit Bildern. Das Stück ist vielschichtig, manche Bilder sind konkreter als andere. „Wenn ihre israelischen und deutschen Tänzer auf der Bühne in einen Volkswagen, einen Käfer, steigen – von Hitler als Kraft-durch-Freude-Wagen geplant, aber nach dem Krieg, wie sie sagt, tatsächlich gerne in Israel gefahren – will sie bildlich fragen: „Warum ist Wagner gefährlicher als ein Auto? Warum fährt man einen Käfer, aber hört keine Wagner-Musik?“ Und sie nimmt die wohl wahre Geschichte des kulturellen Provokateurs Udi Aloni auf, der einen „Ring“-Video-Abend ankündigt, aber als feuchtfröhliche Party durchführen will.
Dass dann viele ältere Herrschaften kamen, feierlich gekleidet wie früher in Deutschland für die Oper, mache das Dilemma zwischen Wagner-Verbot und Wertschätzung seiner Musik deutlich, sagt Magal. „Bei mir schalten am Ende die Tänzer das Autoradio an und hören – Wagner-Musik.“
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