Egon Madsen – ein Tänzerleben

Die Biografie des großen Tänzers von Dagmar Ellen Fischer

Henschel Verlag, 29/11/2012

/img/redaktion/egonmadsenbuch.jpg 70. Geburtstage sind immer ein Anlass, um auf ein Leben zurückzublicken – bei Tänzern ohnehin, denn es gibt nur extrem wenige, die in diesem hohen Alter noch auf der Bühne stehen. Eine dieser großen Persönlichkeiten ist Egon Madsen, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feierte. Aufgewachsen in Dänemark, berühmt geworden in Stuttgart als maßgeblicher Protagonist des „Stuttgarter Ballettwunders“ in den 1960er Jahren, gehört er zu der raren Spezies, die auch mit 70 Jahren noch auf der Bühne zu faszinieren wissen. Ob am Stuttgarter Theaterhaus mit Eric Gauthier in Christian Spucks „Don Q.“, als Marcel Marceau in „M.M.“ von Eric Gauthier selbst, als John Cranko in Gauthiers „Dear John“ oder als Hexe Madge in „La Sylphide“ in der Version von Peter Schaufuss an seiner alten Heimat, dem Stuttgarter Ballett – Madsen ist und bleibt einer der größten Tanzkünstler unserer Zeit. Sein Repertoire ist so groß, dass es in der Biografie, die die Hamburger Tanz- und Theaterjournalistin Dagmar Ellen Fischer in diesem Jahr im Henschel-Verlag veröffentlicht hat, fünfeinhalb Seiten einnimmt.

Da ist so gut wie alles dabei, was den Tanz in den vergangenen 50 Jahren geprägt hat, vor allem natürlich beim Stuttgarter Ballett, dem Egon Madsen 20 Jahre lang, von 1961 bis 1981, angehörte. Egon war Kutscher, Capitano und Moondog in Crankos „The Lady and the Fool“, er war Paris, Mercutio, Romeo und Capulet in Crankos „Romeo und Julia“ – und niemand ist so berührend gestorben wie sein Mercutio, niemand war als Romeo je ein so stürmischer Italiener wie der Däne Egon. Er war das E. in Crankos berühmten „Initialen R.B.M.E.“, eine Huldigung an die großen Stars des Stuttgarter Balletts Richard Cragun, Birgit Keil, Marcia Haydée und eben Egon Madsen. Er war Gremio und Lucentio in Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“ – und kaum je war ein Gremio so urkomisch wie der von Egon. Legendär auch sein Joker in Crankos „Jeu de Cartes“, sein Lenski in Crankos „Onegin“, sein Prinz Siegfried in Crankos „Schwanensee“. Aber er war auch Der Ewige im „Lied von der Erde“ von Kenneth MacMillan, Pan in „Daphnis und Chloe“ von Glen Tetley, Albrecht in Peter Wrights Verion von „Giselle“, das Schicksal in „Lieder eines fahrenden Gesellen“ von Maurice Béjart, Hamlet in „Der Fall Hamlet“ von John Neumeier, und natürlich war er Armand in der Uraufführung von Neumeiers „Kameliendame“ 1978 mit Marcia Haydée, und er war darin wohl der hinreißendste Liebhaber, den man sich auf der Bühne nur vorstellen kann.

Nach seinem Abschied in Stuttgart folgte die Zeit als Tänzer und Ballettdirektor in Frankfurt/Main, wo 1983 William Forsythe sein erstes abendfüllendes Werk „Gänge“ in der zweiten Fassung (nach der Uraufführung beim NDT in Scheveningen) auf die Bühne brachte. Es war der Beginn der Ära Forsythe in Frankfurt/Main – zur Spielzeit 1984/85 ging Egon Madsen als Ballettdirektor nach Stockholm. Aber es war schwierig für einen Dänen in Schweden, und so griff Egon zu, als ihm 1986 die Position eines Ballettdirektors in Florenz angeboten wurde. Auch das wurde nur ein kurzes Intermezzo – Marcia Haydée, inzwischen Ballettdirektorin in Stuttgart, holte Egon Madsen 1990 als Ballettmeister zurück in die alte Heimat. Reid Anderson wollte seinen Vertrag 1997 jedoch nicht mehr verlängern. So ging Madsen für ein Jahr als Ballettmeister nach Leipzig zu Uwe Scholz, bis ihn sein alter Stuttgarter Kollege Jiri Kylian, mittlerweile Chef des NDT, aus Den Haag anrief und fragte, ob er an der Gründung des legendären NDT III mitwirken wolle, der Kompagnie für ältere Tänzer. Egon sagte Ja.

Und so prägte er als künstlerischer Direktor und Tänzer das Repertoire und die Auftritte von NDT III bis zum immer noch unverständlichen Aus für das weltweit erfolgreiche Ensemble nach 16 Jahren im Jahr 2006. Aber wo die eine Tür zugeht, öffnet sich eine andere: für Egon stieß Eric Gauthier diese Tür auf, der sich 2007 am Stuttgarter Theaterhaus mit „Gauthier Dance“ selbstständig gemacht hatte. Dort wurde als erstes Werk Christian Spucks „Don Q.“ uraufgeführt, diese „nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit“, maßgeschneidert auf die beiden großen Tänzerdarsteller und seither ein Publikumsrenner, wo auch immer es gezeigt wird. Mit Eric Gauthier fand Egon Madsen zu seiner Größe als Tänzer und Darsteller zurück – und bis heute begeistert er sein Publikum in jeder seiner leider viel zu raren Vorstellungen. Dagmar Ellen Fischer hat diese große Tänzerkarriere auf all ihren vielen verschiedenen Stationen nachgezeichnet – das ist wunderbar und mit viel Sprachwitz erzählt, nie langweilig, aber auch nie anbiedernd. Sie findet die richtige Balance zwischen Bewunderung und Abstand, das liest sich flüssig und süffig von der ersten bis zur letzten Seite – ein buntes Gemälde eines reichen, bewegten Tänzerlebens.

Und doch fehlt etwas. Es fehlt der Blick in das Innere von Egon Madsen, in seine Gefühlswelt, seine Ansichten und Einsichten. Hin und wieder glänzt etwas davon auf, und überall da, wo er diesen Einblick gewährt hat, bekommt man eine unbändige Lust auf mehr. Man hätte gerne mehr gewusst über sein Erleben der verschiedenen Karrieren, vor allem beim Stuttgarter Ballett und beim NDT, um diese beiden wohl wichtigsten Stationen konkret zu benennen. Man hätte gerne mehr gewusst über seine Sicht auf den Tanz damals und heute, auf die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, man hätte auch gern mehr gewusst über seine Sicht auf all die Brüche in seiner Biografie und im persönlichen Leben. Vielleicht hat Egon diesen Einblick bewusst verweigert – bescheiden wie er ist, kann es gut sein, dass er sich und seine Ansichten nicht so in den Mittelpunkt stellen wollte. Schade ist es dennoch – denn schon aus den vielen einzelnen Äußerungen und Fakten, die Dagmar Ellen Fischer dankenswerterweise zusammengetragen hat, wird deutlich: Egon Madsen hat so viel zu sagen. Und so viele könnten von seiner Erfahrung lernen. Deshalb sei dieses Buch jedem Ballettinteressierten wärmstens empfohlen.

Dagmar Ellen Fischer: Egon Madsen. Ein Tanzleben. Henschel Verlag, Leipzig, 176 Seiten, 78 farbige und s/w-Abbildungen, 24,90 Euro.

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