Abschluss einer Ära
Mit den Hamburger Ballett-Tagen endet die Intendanz John Neumeiers
Erste Vorstellung von Neumeiers „Kameliendame“ beim Hamburg Ballett in dieser Spielzeit
Ein Wiedersehen mit dem Neumeier-Klassiker „Die Kameliendame“ gab es am 3. Oktober 2012 beim Hamburg Ballett, bei den Hauptrollen in einer Besetzung, die in dieser Form noch nie in Hamburg zu sehen war: Hélène Bouchet tanzte die Marguerite, Thiago Bordin den Armand. Mit einer beispiellosen Hingabe aneinander, an den Tanz, an die tragische Geschichte dieses Paares. Das war schon sehr besonders und sehr berührend. Hier wurde Bewegung ganz und gar in den Dienst des Ausdrucks gestellt, in die Darstellung großer Gefühle, ohne je übertrieben zu wirken oder ins Schwülstige abzugleiten.
Vor allem die gerade 32 Jahre alt gewordene Hélène Bouchet hat in den vergangenen Jahren an darstellerischer Kraft ungemein gewonnen. In dieser Rolle ist das besonders gefordert, und sie spielt das eben nicht nur, sie lebt es, mit allem, dessen sie fähig ist. Das macht die Magie aus, die diese Marguerite zu entfalten in der Lage ist. Sie muss nicht nur mit einer brillanten Technik getanzt werden, sondern vor allem mit der inneren Kraft der ganzen Persönlichkeit. Man kann eine Marguerite nicht spielen, man muss sie sein. Diese Qualität, das Innerste nach außen zu kehren, sich ganz und gar hinzugeben an die Figur, darin aufzugehen, fordert Neumeier in fast allen seinen Stücken, aber hier noch mehr als sonst. Hélène Bouchet ist an diesem Abend dieser Anforderung aufs Feinste gerecht geworden. In Thiago Bordin als Armand hatte sie ihren Wunschpartner – die beiden sind ein ideales Bühnen-Paar. Sie vertrauen einander blind. Gerade bei den schwierigen Hebungen und den komplizierten Pas de Deux ist das ein großes Plus. Es war Freude pur, die beiden in diesen Rollen zu sehen. Da capo bitte!
Im Kontrast dazu stand allerdings eine krasse Fehlbesetzung: Dario Franconi als Monsieur Duval, Armands Vater, wird der Rolle in keiner Weise gerecht. Im Dialog mit Marguerite macht Monsieur Duval eine Wandlung durch, die sichtbar und spürbar werden muss. Am Anfang ist er schroff ablehnend, verweigert sich, Marguerite die Hand zu küssen, wie es Sitte ist zu dieser Zeit. Sie, die Kokotte, ist in seinen Augen keine Dame, natürlich nicht. Deshalb kostet es ihn auch keine große Mühe, von ihr zu verlangen, auf Armand zu verzichten. Liebe kann es nicht geben zwischen Menschen aus so unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Erst im Laufe dieses Tanz-Dialogs wird ihm klar, was für eine tief fühlende Frau Marguerite ist, und er fühlt Erbarmen mit ihr, ohne von seiner Bitte abzulassen, dass sie auf Armand verzichten möge. Als Marguerite schließlich aus Liebe zu Armand voller Schmerz einwilligt, wächst in Monsieur Duval die Achtung vor ihr – und er küsst ihr zum Abschied Stirn und Hand. Dario Franconi macht diesen Prozess nicht nachvollziehbar, obwohl er lange genug beim Hamburg Ballett und auch alt genug ist, um zu wissen, was diese Rolle bedeutet. Man versteht bei ihm nicht, warum der Vater sich plötzlich doch Marguerite zuwendet, nachdem er sich gerade so unfreundlich behandelt hat. Diese Rolle erfordert große innere Reife und Stärke von einem Tänzer. Victor Hughes hat das beispielhaft auf der Bühne verkörpert, Eduardo Bertini ebenso, Reid Anderson (heute Ballettdirektor beim Stuttgart Ballett) und auch Carsten Jung. An diesen Vorbildern könnte sich Dario Franconi orientieren.
Als Manon kehrte Carolina Aguero nach ihrer Babypause auf die Bühne zurück – und schien weniger kühl und beherrscht zu sein als früher, da war plötzlich viel mehr Gefühl im Raum, und das steht ihr gut. Schade nur, dass Otto Bubenicek als Des Grieux, der für den erkrankten Ivan Urban eingesprungen ist, eher indisponiert schien – weniger technisch als mental. Selten ist diese Rolle mit weniger Verve und Engagement getanzt worden.
Große Kontraste also an diesem Abend – aber dank der überragenden Leistung der beiden Hauptprotagonisten überwog dann doch die Freude.
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