Wunderbares Hand- und Lesebuch

Horst Koegler über den Ballettdirektor, Choreografen und Tänzer Heinz Spoerli

Zürich, 04/01/2012

/img/redaktion/koeglerspoerli.jpg Kein Ballett-Publizist auf der ganzen Welt dürfte so viele der rund 200 Chorografien von Heinz Spoerli gesehen haben wie Horst Koegler (geb.1927). Und so präzis einordnen und interpretieren können. Koeglers Buch „Heinz Spoerli – Weltbürger des Balletts“ enthält nicht nur ein lückenloses Werkverzeichnis aller seit 1967 entstandenen Spoerli-Choreografien, mit Angaben über Musik und Uraufführungsort - sondern auch ebenso kompetent geschriebene wie gut verständliche Begleittexte. Der Autor verzichtet weitgehend auf Fachterminologie. Trotzdem schafft er es, für Laien und Spezialisten gleichermassen interessant zu sein.

Heinz Spoerli (geb. 1940 in Basel), so geht aus der Monographie hervor, ist ein ebenso unruhiger wie treuer Mensch. Nach den Lehr- und Wanderjahren als Tänzer in Basel, Köln und Kanada hat er nur drei Posten innegehabt: Er war Ballettdirektor und Chefchoreograf am Stadttheater Basel (1973−91), später an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf/ Duisburg (1991−95) und schließlich am Opernhaus Zürich (1996−2012). Im Lauf der Jahre hat Spoerli fast alle klassisch-romantischen Handlungsballette des 19. und 20. Jahrhunderts in eine Form gebracht, die sowohl traditionsverbunden als auch dem heutigen Zeitgeschmack angepasst ist. Dazu hat er neue, eigene Handlungsballette kreiert, von „Falstaff“ über „La belle Vie“ bis zum „Sommernachtstraum“. Meist auf der Grundlage der klassischen Danse d‘Ecole, aber emporstilisiert zur Neoklassik und vermischt mit dem ganzen Spektrum zeitgenössischen Tanzes. Humor spielt bei vielen dieser Choreografien mit – ganz abgesehen von so komischen Kurzstücken wie „Chäs“.

Berühmt ist Spoerli ferner für große Produktionen wie „Goldberg-Variationen“, „Brahms – ein Ballett“ oder „moZART“. Sie haben keinen konkreten Inhalt, wirken aber auch nicht so abstrakt wie George Balanchines Werke. Denn sie sind voller emotionaler und psychologischer Schwingungen und angedeuteter Beziehungsgeschichten. Dasselbe geschieht in unzähligen Kurzballetten. Als Hauptquellen der Musik nennt Koegler Johann Sebastian Bach an erster, Igor Strawinsky an zweiter Stelle. Doch im Lauf eines langen Choreografenlebens machte sich Spoerli mit unzähligen anderen Komponisten vertraut: barocken, klassischen, romantischen, modernen, mit Minimalart-Künstlern und Unterhaltungsmusikern.

Ende der Spielzeit 2011/12 geht Spoerlis Zeit mit dem Zürcher Ballett zu Ende. Zwei Uraufführungen sind noch vorgesehen: „Don Juan“ zu Musik von Christoph Willibald Gluck und „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauss. Sie sind im Werkverzeichnis vorsorglich schon vermerkt. Uraufführung: 24. März 2012.

Zieht Heinz Spoerli sich nachher aufs Altenteil zurück? Daran ist nicht zu denken. Er wird herumreisen, hier ein früheres Werk vermitteln, dort ein neues kreieren. Horst Koegler bestreitet den Löwenanteil der Spoerli-Monografie. Doch der Band enthält auch Kurzbeiträge anderer Autoren und Autorinnen: Von Margrit Meier, welche Spoerlis Basler Zeit unter die Erinnerungslupe nimmt und die Redaktion des Buches verantwortet. Von Chris Jensen (im Interview), schon in Basel Solotänzer bei Spoerli und heute dessen enger Mitarbeiter und Ballettmeister. Von Martin Schläpfer, zurzeit Direktor und Chefchoreograf an der Deutschen Oper am Rhein, der beim Basler Ballett zum Solotänzer avancierte. Oder von Peter Marschel, bis vor kurzem Manager beim Zürcher Ballett: Er darf es sich erlauben, beim Rückblick auch ein bisschen zu seufzen angesichts der Launen seines hypersensiblen und fordernden Chefs. Nicht alle Kurzbeiträge sind so aufschlussreich wie die vier Genannten. Man hätte den einen oder andern Text auch bleiben lassen, durch Artikel jüngerer Autoren und Autorinnen ersetzen können.

Gelungen dagegen die Auswahl der 120 Bilder. Es handelt sich nicht um Hochglanz-Wiedergaben. Glamour steht nicht an erster Stelle. Dafür sind sie typisch für Spoerlis Werdegang und künstlerische Handschrift. Ein Großteil der Bilder stammt vom Theaterfotografen Peter Schnetz – über ihn und seine Berufskollegen vermisst man ein paar persönliche Angaben.
Vorbildlich dagegen der 28-seitige Anhang mit der englischen Übersetzung der wichtigsten Koegler-Texte von Janet & Michael Berridge. Aufschlussreich die „Weltkarte der Gastspielorte“: Als Ballettleiter, Choreograf oder Tänzer hat Heinz Spoerli 133 Städte in 34 Ländern besucht − als weiße Flächen locken noch Südamerika und Australien. Und spannend die Liste aller Tänzerinnen und Tänzer, die je bei Spoerli engagiert waren. Einige für kurze, andere während sehr langer Zeit.

Das Tüpflein auf dem i bilden ein paar persönliche Reminiszenzen von Heinz Spoerli, die man ins Buch eingestreut hat. Oft sind sie ziemlich komisch. Etwa folgende Erinnerung an eine Premiere von „La Fille mal Gardée“ an der Pariser Opéra. „Dieses Ballett spielt auf dem Land, und deshalb lag ganz viel Stroh auf der Bühne“, erzählt der Choreograf. „Doch die Feuerwehr verlangte, dass wir dieses Stroh behandelten – wegen Brandgefahr. Also liessen wir das Stroh über Nacht imprägnieren. Am nächsten Tag hatten die Tänzer bei der Probe überall kleine, rote Flecken. Man befürchtete schon, die Masern seien ausgebrochen. Die Gewerkschaft intervenierte, die Premiere wurde abgesagt (…) Was war geschehen? Das Imprägniermittel hatte Milben oder Flöhe aus dem Stroh getrieben, die sich darauf neue Wirte suchten: die Tänzer. Das ganze Drama hatte nur einen Vorteil: Fernsehsender auf der ganzen Welt berichteten darüber. Und ich wurde von einem Tag zum anderen weltberühmt.“

Horst Koegler, „Heinz Spoerli – Weltbürger des Balletts“. Verlag Neue Zürcher Zeitung 2012. 206 Seiten. ISBN 978-3-03823-720-4. Preis €42, Fr.48 Buch bei Amazon bestellen!

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