Ein Hauch von Ewigkeit
Meg Stuart erhält in Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk
Die Münchner Kammerspiele tanzen? Zumindest „an der Schnittstelle zwischen Theater und Tanz“, jetzt mit der Kreation „Built to last“ der US- Choreografin und Wahl-Berlinerin Meg Stuart. Intendant Johan Simons, dem Tanztheater zugeneigt – er kommt selbst ursprünglich vom Tanz –, hatte Meg Stuart zur Eingewöhnung jüngst schon mit zwei Gastspielen eingeladen. Dieser Abend ist nun die erste gemeinsame Produktion von Stuarts Kompanie Damaged Goods (die sich jeweils mit anderen Mitgliedern neu formiert) und den Kammerspielen. Das Publikum in der Spielhalle – mit viel Kammerspiele-Schauspielerprominenz – war hörbar hell entzückt.
Stuarts europäischen Durchbruch konnten wir durch Gastspiele hier miterleben. In „Disfigure Study“ (1991) und „No longer Readymade“ (1993) dis-figurierte diese knabenhafte Tänzerin in forschender Geste ihren Körper zu ungewöhnlich neuen Formen. Das Angesagte war damals, ihr nachzufahren für ihre dann eher konzeptuellen, in brausende Klangkulissen getauchten Großraum-Projekte in Wien („Highway 101“/ 2000) und in Zürich („Alibi“/2001, „Visitors Only“/ 2003). Um Raum und Architektonisches geht es auch hier. Bei einem Titel wie „Gebaut für die Ewigkeit“ logischerweise um Denkmäler, um Monumente. Auch musikalische, wie im Abend selbst erkennbar wird. Und nun weiter? Oh Programmheft, bitte hilf! Dort nur vage Hinweise: dass das Verhältnis von Hier-und-Heute-Mensch und Vergangenheits-Monument verhandelt werden soll. Ob da überhaupt ein Dialog möglich ist? Ob monumentale Bilder menschlich, verletzbar werden könnten? Ein ziemlich nebulöser Vorwurf, schon weil man bronzene Bismarcks nicht mit Beethovens „Eroica“ gleichsetzen kann. Die Umsetzung sah dann so aus: Ein beiges Papp-Dino-Skelett (Bühne von Doris Dziersk, die auch für Stuarts „Blessed“ von 2007, in München 2008 gezeigt, Papp-Palme und -Häuschen entwarf) wird von den Akteuren irgendwann demontiert und wieder zusammengebastelt. Videobilder (Philipp Hochleichter) von irgendwelchem alten Gemäuer, von Bauten und Menschenmassen auf kleinem Schirm weit hinten – auf dem nur mit Opernglas etwas zu erkennen ist – und auf großem Schirm in einem fahrbaren verglasten Einzimmer-Container. In voller Fahrt posiert obendrauf eine Tänzerin in Karikatur-Heroen-Posen. Im Innern inszenieren sich drei Darsteller als schräg aufgebrezelte lebende Krieger- und Götter-Statuen. Mit diesen wenigen und in der Substanz mageren parodistischen Bildeinfällen glaubt Stuart dann wohl das Verhältnis zum baulichen Monument abgedeckt zu haben.
Im Vergleich dazu gibt es, zumindest von der Masse her gesehen, viel auf das musikalische Monument reagierende Bewegungsaktion. Alain Franco hat Werke fünfzehn (!) großer Komponisten zusammengestellt, von Perotin bis Lachenmann: ein historischer Durchlauf vom Gregorianischen Gesang und einfacher Mehrstimmigkeit bis zu Polyphonie, klassischer Kontrapunktik und Harmonik, deren Auflösung und individuellen musikalischen Idiomen. Zu dieser noch pointiert phonmäßig monumentalisierten Musikwucht führen die fünf Darsteller, stehend, mit sterilem Blick endlos lang „Arm- und Handballette“ auf, auch in Reih und Glied am Boden liegend. Das Quintett tobt auch herum als schräge Dada-Truppe, sich schüttelnd, sich verrenkend, grimassierend. Es ist ein einziges ebenfalls in unendlichen Zeitstrecken angestrengtes, absichtsvoll laienhaftes (Stuart könnte ja anders) Gehüpfe und Gewurle. Soll man daraus etwa menschliche Nichtigkeit, Verletzlichkeit herauslesen? Oder sollen so etwa diese großen Musikwerke „de-sakralisiert“, quasi vermenschlicht werden? Wer nicht tanztheatralisch informiert ist, wird Stuarts choreografisches Gebilde glatt als Verhohnepipelung der Musik bezeichnen.
Und es bleiben noch andere Fragezeichen. Wenn die Darsteller sich gegenseitig langsam auf den Boden betten, lässt sich, mit viel Hirnakrobatik, die dazu schmerzhaft grell aufgleißende Lichtschau aus dreizehn Scheinwerfern noch deuten als der aus Nahtod-Berichten bekannte Übergang ins Jenseits. Aber was sollen die weißen Bälle, die aus dem zentralen Polyeder eines sich hoch oben drehenden Planetenmodells auf die Bühne dotzen? Bilder zu erfinden genügt nicht. Sie müssen gesamtdramaturgisch einen Sinn ergeben, vor allem eine Aura haben – so wie bei der großen Pina Bausch. In den Negativ-Momenten des aktuellen Tanztheaters weiß man wieder einmal, was man mit ihr verloren hat. „Die Choreografie offenbart gleichzeitig die Bestimmung, das Scheitern und die Verletzbarkeit des Versuchs“, schreibt Stuart im Programmblatt. Wie wahr. Für uns waren es die härtesten zwei durchgestandenen Tanztheaterstunden seit langem. Ein kleiner Lichtblick: Der Belgier Kristof Van Boven, seit 2010 im Kammerspiele-Ensemble, der in neongelbem Top und weißen Wollbridges mit ganz wunderbarer feiner Verzweiflungs-Komik gegen die übermächtige Musik antanzt.
2., 3., 4., 16., 17., 19., 20., 22., 23., 24. Mai.
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