Ein Hauch von Ewigkeit
Meg Stuart erhält in Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk
Meg Stuart mit dem prozesshaften „Sketches/Notebook“ an den Münchner Kammerspielen
Seit letzten Frühsommer hat München ein neues Festival. „Relations“ heißt es, und fand zum Abschluss von „100 Jahre Münchner Kammerspiele“ statt, um den gegenseitigen Austausch des Stadttheaters mit der internationalen Tanz- und Theaterszene zu zelebrieren. Dieses Jahr fällt das Ganze ein wenig kleiner aus. Drei Gastspiele – diesmal nur Tanz, ohne Theater – geben den Blick frei auf das, was außerhalb der Kammerspiele steht und doch mit ihnen verbunden ist. Neben Meg Stuarts „Sketches/Notebook“ (2013) – sie ist seit Johan Simons Intendanz regelmäßiger Gast in seinem Haus, den Kammerspielen in München - sind es zwei Freiburger Arbeiten von Sebastian Nübling und Tom Schneider, die das Mini-Festival bilden.
Als Zuschauer stolpert man bei Meg Stuarts Tanzperformance an der Platzanweiserin vorbei, geradewegs in den offenen Prozess. In ein großes Ereignis, so scheint es, dessen freudvolle, sich im Loop abspielende Musiksequenz zum Aufbruch bläst. Wohin aber, das weiß man nicht so recht. Silbervorhänge, E-Gitarre und Schlagzeug, Kostümständer und verschiedene Lichtspots unterteilen den Raum. Das Publikum sitzt im Arenarund drum herum. Emsig bereiten die Tänzer ihren Auftritt vor, wimmeln durcheinander. Meg Stuart rutscht an einer meterlangen Schräge immer und immer wieder auf die Bühnenfläche, rappelt sich auf, erklimmt die Schräge und gleitet erneut nach unten.
Entwickelt am HAU Berlin ist „Sketches/Notebook“ im Kollektiv und der Disziplinen übergreifenden Verschränkung von Tanz, bildender Kunst und Musik entstanden. Der Prozess wird hier ausgestellt, das Eintauchen in eine Arbeit, das Probieren und Experimentieren mit einem Thema. Körper, Material und Töne werden aneinander gerieben, bis nur noch Bruchstückhaftes übrig bleibt. Und so erinnert die erste Aufbruchsequenz mit ihren gefühlt 1000 Anfängen und Ansätzen an einen Zirkus, einen Spielplatz, oder aber auch an das exzessive Raven in Berlin. Die bunt gewandeten Tänzer mit Glitzerjäckchen, Pelzschal und wahlweise Geweihen am Stirnband, könnten auch direkt der Bar 25 entsprungen sein. Also einem sinnfreien Ort, der den Moment feiert und den Rausch zelebriert.
„Sketches/Notebook“ schwankt zwischen verhaltenem Exzess und Ritual. Der wummernde Bassbeat lässt sich zugleich mit dem Klang von Stammestrommeln assoziieren, und die Bewegungen der Tänzer- und Künstlergruppe mit festgezurrten Verhaltensmustern und Bräuchen. Arme schwingen vor und zurück, Körper begegnen einander, tauschen Gesten aus. Muster wiederholen sich und sind letztlich Teil der großen Zeremonie Kunst.
Meg Stuart und ihr Kollektiv finden in den eineinhalb starke, schräge und manchmal etwas zu einfache Bilder für ein Thema, das sich nicht so recht festlegen lässt. Mal ist es Stadt und Land, dann tut sich wieder die große Last der Geschichte auf. Das Echo sagt uns, dass es Erinnerung ist – so lautet eine der wenigen Textpassagen des Stücks. Das Echo als Nachhall und Wiederholung ist also ein Weg, Kultur zu tradieren. Im nächsten Moment rollen Murmeln über die Bühne, die Tänzer schießen sie durch den Raum, die Zuschauer rollen sie zurück.
Und so nimmt das Geschehen seinen Lauf, zusammengebastelt aus den Resten des Geschichts- und Kulturmülls. Bettdecken wickeln sich um den Körper Meg Stuarts, werden zum üppigen Rock und machen sie kurz zur viktoriansichen Königin, bevor ihr neonfarbene Augenbrauen und Lippen aufgeklebt werden. Ihre Arme stecken in metallenen Schnallen, zerstören das konstruierte Imago durch ihre Roboterhaftigkeit. Es ist diese seltsame Vermischung von Gegenwärtigem und Projektionen der Vergangenheit, die in einem fort fesselt. Und doch – endet das Stück wie es angefangen hat, mit 1000 Enden und Verschleppungen.
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