Emotionale Explosionen im traurigsten aller Tänze
Compagnia Naturalis Labor mit „Othello Tango“ von Luciano Padovani in Ludwigshafen
Das New York City Ballet gastiert nach über 30 Jahren in Deutschland
Natürlich waren die Erwartungen hoch. Immerhin, das New York City Ballet, 1948 von dem Choreografen George Balanchine und dem Kunstmäzen Lincoln Kirstein gegründet, brachte ja eigentlich das Ballett aus der Alten in die Neue Welt um bald schon weltweit nicht nur Fans der Tanzkunst immer wieder in helle Freude zu versetzen. Ab 1949 schon prägte der Choreograf Jerome Robbins den Stil dieser Kompanie entscheidend mit und mischte Emotionen und Humor zur Prägnanz und musikalischen Exaktheit Balanchines. Heute leitet Peter Martins, dem die Arbeit beider Meister vertraut ist, der selbst ihre Choreografien getanzt hat, übertragen und eigene geschaffen hat, die weltbekannte Kompanie. Nach mehr als 30 Jahren sind die New Yorker wieder in Deutschland, möglich ist dieses einmalige Gastspiel weil sich Partner fanden. Die BASF Group fügt noch einen Glanzpunkt in ihr ohnehin schon funkelndes Jubiläumsjahr einer nunmehr 90jährigen Kulturförderung zu, der seit 35 Jahren der Ballettring in Kooperation mit dem Theater im Pfalzbau Ludwigshafen gehört. Für das aktuelle Gastspiel kommt das Festspielhaus Baden Baden dazu. Weder die Hauptstadt noch Städte mit entsprechenden Traditionen und interessiertem Publikum, wie Stuttgart, München, Hamburg, vielleicht sogar auch Dresden, konnten oder wollten sich diese Besonderheit nicht leisten.
Natürlich ist bei so viel Vorschuss auch Vorsicht im Spiel, stellt sich Skepsis ein, sind sie wirklich so gut, und Balanchine oder Robbins, nicht vielleicht doch leicht angestaubt? Kein Stäubchen trübt die Freude, die sich schon nach wenigen Minuten einstellt. Zu Mozarts Divertimento Nr. 15 schuf George Balanchine 1956 eine bildschöne Choreografie mit den lichthellen, fröhliche Unbeschwertheit vermittelnden Kostümen von Karinska.
Da sind sie, diese Tugenden der Neoklassik à la Balanchine, Exaktheit auf jeden Fall, die hohe Konzentration bis in die Spitzen der Finger und die Füße, mitunter mutet es an, als entwischten der so blitzschnell gestreckten Sohle kleine Funken. Exakte Schönheit aus der Form, dank der Tänzerinnen und Tänzer einer jungen New Yorker Generation keine Spur von Formalismus. Sie glänzen nicht mit ihrem Können, sondern eher mit ihrer Freude darüber, und das steckt an.
Nicht mal zehn Minuten währt das Wahnsinnsduett „Tarantella“ von Balanchine auf die amerikanische Italomusik von Louis Moreaus Gottschalk, bei dem die beiden Solisten Megan Fairchild und Daniel Ulbricht alle Register ziehen können, witzig und frech geben sie noch einen Kick dazu, denn weder Drehungen in vielen Varianten, Sprünge und Flüge, überhaupt der Bezug zur Höhe, dürften ihnen auch nur im geringsten einen Anflug von Problemen bereiten. Balanchine verjüngt, erobert von einer neuen Generation, angereichert mit einem wunderbaren Maß an Charme, etwas Frechheit, Witz und Augenzwinkern. So wird auch die Choreografie zu Igor Strawinskys „Symphony in Three Movements“ aus dem Jahre 1972 selbst bei deren leicht überholt wirkend sportivem Anspruch zu einem Erfolg architektonischer Konstruktionen ganz im Geiste der dazu erklingenden Musik, Augenzwinkern eingeschlossen. Das Gastspiel der New Yorker wird musikalisch begleitet von der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, den erfahrenen Dirigenten Andrews Sill haben sie mitgebracht.
Die Sternstunde dieses Gastspielabends aber verdanken wir Frédéric Chopins Klavierwerken und Jerome Robbins mit dessen genialer Choreografie „Dances at a Gathering“ von 1969, mit der Solistin Susan Walters am Klavier.
Zu einer Mazurka betritt ein Solist die Bühne vor blauem Horizont mit angedeuteten weißen Wolken. Immer wieder Anklänge polnischer Folklore, verwandelt in weite Linien, wenn dann weitere Tänzerinnen und Tänzer, insgesamt fünf Solistenpaare hinzukommen, gehen Bewegungen von einem zum anderen. Bis zum abschließenden „Nocturne“ nach 16 kurzen Szenen in drei Teilen das ganze Ensemble in so beglückender Ruhe im verlöschenden Abendlicht die Szene verlässt. Zwischen Anfang und Abschluss ein Reigen, Ausnahmesituationen von verstörend unzerstörter Schönheit, Melancholie und Verzauberung, Sehnsucht nach Freiheit, die sich auch in der Art des Tanzes Raum schafft, eine genial gelungene Symbiose von Motiven polnischer Folklore und klassischem Tanz, im Ergebnis zeitlos berührende Poesie von optimistischer Wirkung. Erdverbunden bleiben diese Tänze auf dem Lande, irgendwo in einer Seelenlandschaft vergangener polnischer Romantik, beschworen durch die Musik Chopins und den so wunderbaren Tanz der zehn Solistinnen und Solisten des New York City Ballet. Eine Sternstunde im ohnehin funkelnden Programm.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments