„Small World“
Fotoblog von Dieter Hartwig
Palast aus Bern mit „The Holycoaster S(hit) Circus“ zur Tanzoffensive in Leipzig
Schweizer Jungs, deutsche Geschichten und eine Reise nach Jerusalem. Getanzt wird auch, mal mehr, mal weniger. Einmal vollführen zwei muskulöse junge Männer einen ambivalenten Krafttanz in schwarzen Röcken mit freien Oberkörpern. Man mag an Körperkultbilder aus den braunen Jahren Deutschlands denken, trügen die Beiden nicht genau da, wo sonst das berühmte Feigenblatt seinen Dienst tut, den berüchtigten gelben Stern. Die Leipziger Festivalmacher haben bewusst in diesem Jahr Produktionen eingeladen, die Geschichten erzählen.
Die Schweizer Performer um Dennis Schwabenland, Benjamin Spinnler und Christoph Keller, mit Ruby Edelmann, Sascha Engel und Raphael Urweider, müssen ihre Geschichten erst einmal finden oder erfinden bevor sie sie erzählen können. Also suchen sie sich ihre Helden und Antihelden, ihre Feinde und Freunde. Fündig werden sie in den Heilsversprechen der Schlager, in der deutschen Heldensage vom Siegfried und in bierseligem Kneipengesülze über Werte an sich und im Besonderen. Und um sich auf die Reise nach Jerusalem zu begeben, denn wo sonst käme man besser dazu, an die Wurzeln deutschen Wesens zu gelangen, braucht man eben auch deutsche Geschichten. Und die deutscheste Geschichte hat man, wenn der Großvater nicht nur ein Nazi unter vielen war, sondern ein richtig hohes Tier.
Im Heiligen Lande angekommen und erst mal versetzt, prallen die Klischees nur so aufeinander und psychotherapeutisches Workshopgeschwurbel quillt auf wie süßer Brei mit bitterem Beigeschmack. Das alles ist zum Quieken komisch, inkorrekt und hilflos, weil zunächst gnadenlos festgehalten in flackernd und flimmernd tanzenden Wackelbildern eines Dokumentarfilms über die Reise der vier Schweizer Jungs, die sich in Israel dermaßen verklemmt und zugenäht benehmen, dass den Israelis gar nicht anders übrig bleibt, als ihnen ihre Klischees so süffisant wie berechnend zu servieren. So wird dieser Trip zu einem Tanz auf dem Vulkan, kein Ende in Sicht, schon gar kein gutes, da macht ein jüdischer Raser im roten Flitzer einen der vier kleinen Schweizerlein so platt, dass er im Rollstuhl in die Heimat gefahren werden muss. Dann treten die glorreichen Drei aus ihren Filmrollen heraus. Der Mann im Rolli muss bewegungslos zusehen, wie die drei verbliebenen Helden ihre Erfahrungen mit Geschichten und Geschichte in einer Zirkusshow als gefährliche Drahtseilakte auf dem schmalen Grat des schlechten Geschmacks ohne Netz und doppelten Boden dem Publikum gnadenlos zumuten. Slapstick, Witz und Schweinskram über Juden, Deutsche, Nazis, Türken, Schwule, Ossis insbesondere, alle in einen Topf, alle in einem Boot, und keiner, der dem stürmenden Spuk Einhalt gebietet. Und immer wilder werden die körperlichen und verbalen Eiertänze der jungen Workshoppilgerfahrer, die unerlöster Dinge heimgekommen sind und fortan um ihr Leben spielen, tanzen, witzeln, heulen, brüllen oder lachen.
Das Leben als Laienspiel, das Theater als öffentlicher Ort des professionellen Umgangs mit dem Banalen, wo selbst das Unvollkommene im rechten Licht nicht gänzlich ohne Charme ist. Zorn und Lachen sind nahe beieinander in diesem Zirkus, den die Schweizer Kompanie Peng! Palast gemeinsam mit Machol Shalem Dance House riskieren. Nicht alles, was gut gemeint ist, geht auch gut aus, der Zirkus geht weiter, das Publikum wird nach gut zwei Stunden entlassen, Gnade vor Recht.
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