Vertrag verlängert
Ballettdirektor Stijn Celis bleibt bis 2022
Balletts Saarbrücken: „Close up“ - ein Stück über Nähe und Distanz.
„This is not just a Piqué arabesque, this ist 27 years of work“, erklärt die Tänzerin, die wir eben noch in einem Film gesehen haben, wie sie auf dem Weg zur Alten Feuerwache durch die Straßen von Saarbrücken eilt. Plötzlich öffnet sich die Tür − Ende des Films − Die veritable Tänzerin aus dem Film spaziert aufs Podium. Offenes Haar, sportlich bekleidet packt sie ihre Reisetasche aus, holt ein Zelt heraus, schlägt es rappzapp auf und verschwindet darin, um wenige Minuten später als „Sterbender Schwan“ hervorzukommen: Pointshoes, Tutu, klassisch frisiert und geschminkt. Wie hat sie diese Verwandlung in diesem Minizelt und der Kürze der Zeit nur geschafft?
Bevor sich das Publikum besonnen hat, beginnt sie zu trippeln, Schwanenarme schlagen wie Flügel, ein paar Schritte, als memoriere die Tänzerin den Ablauf. „Das ist nicht einfach nur Piqué arabesque“, der fragend vorwurfsvolle Unterton ist kaum zu überhören: „Das sind 27 Jahre Arbeit!“. Das sitzt und dem Publikum dämmert’s: Diese Tänzerin memoriert nicht das vorgegebene Material des drei-minütigen Klassikers, sie reflektiert Zeit – ihr persönliches Zeitinvestment, um die Technik zu erlernen sowie die historische Zeit, die das Stück transportiert: Nein, das Stück sei nicht Teil des berühmten Tschaikowsky-Klassikers „Schwanensee“ von 1877, sondern ein kurzes Solo des Choreografen Fokine, aus dem Jahr 1905, zur Musik „Le Cygne“ (der Schwan), Fragment aus dem „Karneval der Tiere“ des Franzosen Camille Saint-Saëns.
Immer wieder setzt die Ballerina an, bricht ab und kommentiert ihre Schrittsequenz. Die Botschaft ist angekommen: Wir, das Publikum, sind den Tanz betreffend Analphabeten. Wenig wissen wir über die Tanzkunst, noch weniger machen wir uns klar, was die Qualität eines einzigen Schrittes ausmacht, wie viele Wiederholungen in jeder dieser perfekt dargebotenen Passagen und Posen stecken.
In „Close up“, der jüngsten Produktion der Donlon Dance Company Saarbrücken (zugleich Ballett des Saarländischen Staatstheaters), geht die Choreografin Marguerite Donlon ganz nah ran ans Publikum und mitten rein ins eigene Metier. Anfänglich sitz eine Tänzerin auf einem Spiegel, unmittelbar vor den Füßen der Zuschauer, die beobachten, wie sie ein choreografisches Konzept ausarbeitet. Tänzer kommen und gehen, plaudern und lachen – typische Backstage-Atmosphäre. Die Pianistin lässt sich die Partitur erklären. So wie Kleist in seinem Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ philosophiert, so ist man hier ganz nah am Kern schöpferischer Denk- und Tanzarbeit.
Selten hat man ein so motiviertes, engagiertes, vor Ideen, Dynamik, Humor und Forscherdrang sprühendes Ensemble erlebt, wie diese 15 Tänzerinnen und Tänzer. Dabei ist die enge Zusammenarbeit mit dem Bühnen- und Videokünstler Martin Rottenkolber ebenso erfrischend wie die direkte Korrespondenz mit der Pianistin Kaori Nomura, deren Spektrum von hartem Rock bis hin zu Live-Improvisationen reicht. „Close Up“ lässt Tanzfreunde an die 1970er Jahre des Wuppertaler Tanztheaters wie an den Aufwind des Balletts im Stuttgart der 1960er Jahre denken, weshalb auch schon von einem kleinen Saarländischen Ballettwunder gesprochen wird – nicht zu Unrecht.
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