Im Knast gegen Vorurteile antanzen

Projekt: „Gated Community“ in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn

Angeleitet von der Berliner Choreografin Nadja Raszewski trainieren neun Inhaftierte im Alter von 26 bis 56 Jahren. Schwere Jungs unterschiedlicher Nationalität und Herkunft, deren Straftaten von Betrug und Drogendelikt über Bankraub bis Totschlag und Raubüberfall reichen.

Heilbronn, 30/04/2013

Im Knast ticken die Uhren anders. Das erfahren auch jene, die auf einen Sprung in die Strafanstalt wollen. Das Prozedere an der Pforte der JVA Heilbronn, um sich eine öffentliche Probe des Projektes „Gated Community“ anzuschauen, kann schon Mal eine Viertelstunde dauern. Personalausweis abgeben, Handy im Schließfach verstauen, schließlich kommt ein Vollzugsbeamter, der den Besucher durch drei Türen ins Innere des Gefängnisses führt. Auf geht es zu einer der ungewöhnlichsten Veranstaltungen, die im Rahmen des Festivals „Tanz! Heilbronn“ je angeboten wurden.

Angeleitet von der Berliner Choreografin Nadja Raszewski trainieren dort, im sogenannten Multifunktionssaal, neun Inhaftierte im Alter von 26 bis 56 Jahren. Schwere Jungs unterschiedlicher Nationalität und Herkunft, deren Straftaten von Betrug und Drogendelikt über Bankraub bis Totschlag und Raubüberfall reichen. Einige kommen in den nächsten Monaten raus, andere müssen noch Jahre sitzen.

Das Tanztraining fängt mit Aufwärm-, Dehn-, Streck- und Konditionsübungen an. Es folgen kleine Schrittkombinationen zur Musik, dann beginnt die Probe des eigentlichen Stückes, das aus Vorgaben der Choreografin und Improvisationen erarbeitet wird. Mit dem Rücken zum Publikum sitzen die Akteure auf einer Reihe zusammengeschobener Tische. Nacheinander spricht jeder einen Satz - der Text stammt aus dem Grimm-Märchen „Der verlorene Sohn“, eigene Sätze kommen hinzu. Lauter, klarer und deutlicher sollen die Teilnehmer sprechen. Noch einmal von vorn. Die Jungs strengen sich an, Raszewski lobt und ermuntert. Langsam werden die Arme zum Kopf geführt, die Körper drehen sich, lösen sich aus dem Sitz vom Tisch und bewegen sich, wie lebendige Skulpturen, in den Raum, um mit dem Tanz zu beginnen.

„Ich will beweisen, dass ich mit 46 Jahren körperlich noch was drauf habe und die Disziplin, täglich vier Stunden zu tanzen“, sagt Oliver, der draußen als Industrietaucher im Mittelmeer, in Nord- und Ostsee gearbeitet hat. Er ist seit zwei Jahren inhaftiert, sieben Jahre hat er noch vor sich. Die Heroinsucht hat ihn zur Beschaffungskriminalität verleitet. Jetzt ist er auf Entzug. „Ich bin für die Desinfektion der Toiletten und Duschen zuständig“ sagt er. Mit Sport und Lesen, insbesondere von psychologischen Sachbüchern, halte er sich fit. Das schlimmste hinter Gittern sei, wenn Geist und Körper einschlafen. Für Tanz habe er sich schon immer interessiert, nicht aktiv, sondern als Zuschauer, Musicals wie „Tanz der Vampire“ und „Starlight-Express“ haben ihm gefallen.

Die Art zeitgenössischer Tanz, wie ihn die Berlinerin anbietet, sei neu, sozusagen „die goldene Mitte aus modernem Tanz, Pantomime und Theater“, findet er. Das Tanzen bereite ihm Freude. Anstrengender als der ungewohnt intensive Körpereinsatz sei die mentale Verteidigung des Projektes gegenüber jenen, die nicht mitmachen, aber lästern: „Vorzeigeknacki“ sein noch das Harmloseste, was er sich anhören müsse. Hier kochen Vorurteile hoch, das Image des Tanzes kollidiert mit dem Bild vom Mann, der, wenn er tanzt, schnell in Kategorien wie „Weichei“ oder „schwul“ geschoben wird.

Haiman, mit 26 Jahren der Jüngste, zieht sich den Schuh nicht an. Im Iran geboren und am Bodensee aufgewachsen, ist er von der Vielfalt des Tanzes in unterschiedlichen Kulturen begeistert. Neu für ihn ist der individuelle, kreative Ansatz: „Wenn aus dem Nichts plötzlich Etwas entsteht, diese Erfahrung habe ich bisher noch nie gemacht", man merke, „dass viel mehr in einem steckt. Schade, dass nach einem Monat Schluss ist", bedauert er. Diese Meinung teilt auch Ken, ein „waschechter Texaner“, wie er sagt, und mit 56 Jahren der Opa der Tanztruppe: „Unsere Lehrer sind toll. Wir haben in zwei Wochen enorm viel gelernt. Bitte schreiben Sie, dass solche Tanzprojekte regelmäßig, mindestens einmal im Jahr gemacht werden sollten.“

Ein vergleichbares Projekt hat Nadja Raszewski schon in einem Frauengefängnis gemacht: „Für die Männer bin ich einerseits etwas wie Mutterersatz, andererseits auch jemand, den sie beschützen wollen“, das sei einfacher, als unter Frauen, die in ihr die Chefin und Rivalin gesehen hätten.

Gefragt, ob sie eine Veränderung im Sozialverhalten beobachte, meint sie: „Es gibt extreme Veränderungen im Sozialverhalten. Die Männer sind normalerweise in ihrem Knastalltag nicht zusammen auf einer Station und würden sich eigentlich gar nicht begegnen. Innerhalb dieses Projektes kommen sehr unterschiedliche Charaktere miteinander aus und das Vertrauen ist sehr gestiegen. Im Stück, wie in den Proben ist der Anteil des Körperkontaktes sehr viel mehr geworden. So haben wir Übungen aus der Kontakt-Improvisation gemacht, wo es um Gewicht annehmen und Gewicht abgeben ging. Der Anteil an Berührungen, auch unter den Männern, ist also extrem gewachsen. Es hat zum Teil aber auch etwas sehr Eingeschworenes, das heißt, wir fühlen uns wie eine Zelle in der großen Zelle Gefängnis. Was genau von den Erfahrungen, die die Männer während der Proben machen, dann tatsächlich mit raus auf die Flure genommen wird, ist für uns nicht nachvollziehbar.“

Die Arbeit der erfahrenen Tanzpädagogin und Choreografin wird von zwei Profis unterstützt. Selina Menzel (Berlin/Leeds) und Lionel Droguet (Berlin/Saarbrücken/Luxembourg) assistieren, korrigieren und demonstrieren die korrekten Abläufe. Wenn das Stück im Rohbau fertig ist, kommt noch die Szenografin Marion Tränkle hinzu. Die Medienkünstlerin mit abgeschlossenem Architekturstudium und einer Choreografie-Ausbildung, wird dem Stück den letzten Schliff geben. Aufgeführt wird „Gated Community“ in der Sporthalle der JVA zu einer Musik-Collage aus Genesis, Shaban und Käptn Peng, Songs aus dem Soundtrack des Films "Matrix" sowie der Erkennungsmelodie des Bond-Klassikers „Gold Finger“.

Bei allem Elan und allen positiven Aspekten bedauern die Berliner, dass sich die Gruppe dagegen entschieden hat, vor anderen Mithäftlingen aufzutreten: „Ich finde das sehr schade, aber wir können es leider nicht forcieren. Alle Vorurteile gegen Tanz und Bewegung würden scheinbar gegen die Projektteilnehmer verwendet und das wollen die mit allen Mitteln verhindern.“, so Raszewski, die einen der Insassen zitiert: „Ihr geht nach dem Projekt wieder raus aber wir müssen hier drinbleiben und die Sprüche der Mithäftlinge aushalten“.

Für die Aufführungen in der JVA Heilbronn (Steinstraße 21) am 9. und 11. Mai um 17 Uhr muss man sich bis 2. Mai mit Name und Adresse an der Theaterkasse Heilbronn anmelden

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