„Helden“ von Terence Kohler. Tanz: Emma Barrowman

„Helden“ von Terence Kohler. Tanz: Emma Barrowman

Verschachteltes Gedankenkonstrukt

Terence Kohler choreografiert „Helden“ fürs Bayerische Staatsballett

Kohler eröffnete soeben die diesjährige Ballettwoche mit der Kreation „Helden“ zu Musiken von Alfred Schnittke und der auch gerne für Ballett komponierenden 39jährigen Russin Lera Auerbach.

München, 22/04/2013

Das Stuttgarter Ballett hat seit dem Tod des berühmten John Cranko 1973 immer wieder Hauschoreografen, die dann bald andernorts selbst Ballettchef werden. Jetzt, nach fast fünfzehnjähriger Leitung des Bayerischen Staatsballetts, hat auch Ivan Liska einen hausaffinen Choreografen. Der Australier Terence Kohler kreierte für Liskas Ensemble seit 2008 drei größere Ballette. Und eröffnete soeben die diesjährige Ballettwoche (bis 29. April) mit der Kreation „Helden“ zu Musiken von Alfred Schnittke und der auch gerne für Ballett komponierenden 39jährigen Russin Lera Auerbach. Dass das Premierenpublikum im Münchner Nationaltheater begeistert war, hat eher überrascht.

Denn Kohler operiert mit einem recht verschachtelten Gedankenkonstrukt. Ihn beschäftigt das zwiespältige Phänomen der aktuellen weltvernetzenden Kommunikationstechnologie, die gleichzeitig auf privat-menschlicher Ebene eine immer größere Isolierung bewirkt. Für die szenische Umsetzung rekurriert er auf die beiden griechischen Titanen-Brüder Prometheus und Epimetheus. Diesen etwas merkwürdigen Rückwärtssprung von der Hightech-Jetztzeit zur Antike muss man, nolens volens, mitvollziehen. Ausstattungs-Künstlerin rosalie hat da mit drahtig in sich gekringeltem Sonnenball, abstrahierten Sendemasten und am Ende mit einer riesigen, auf die Technik-versehrte Menschheit herabsinkenden Chip-Wolke nachgeholfen. Und okay: Der vorausschauende Prometheus stiehlt ja den Göttern das Feuer und bringt es fortschrittsorientiert den Menschen. Der bedenkentragende Bruder ist dagegen. Es kommt bei Kohler trotz Schlichtungsversuch der kühl-logischen Göttin Athena Parthenos zum Streit, der für Epimetheus tödlich endet.

Dies alles ist ganz klar erkennbar: Lukás Slavicky, der als Prometheus mit kraftvoll-kühnen Sprüngen über die Bühne setzt, trägt an den inneren Handgelenken das gestohlene Feuer in Form von kleinen Lämpchen, mit denen er auf immer wieder neu im Raum herumgefahrenen rautenförmigen Metallschilden Lichtreflexe tanzen lässt. Bald hat er auch Athena und das Ensemble mit den Leuchtelementen ausgestattet.

Wenn sich auch Pandora ganz ihren „Lichthänden“ hingibt, weiß Epimetheus, dass er seine Geliebte an die neue Technologie verloren hat. Er, der Fortschritts-Skeptiker, hält es mit der Natur, die hier versinnbildlicht wird: Grüne Apfel rollen auf die Bühne (schon etwas verwirrend, da der „apple“ das Logo des Steve-Jobs-Imperium ist). Und noch! psychisch heile Paradies-Pärchen tanzen mit der verbotenen Frucht im Munde. Wir sehen also hier, obwohl Kohler das traditionell erzählte Handlungsballett aufbrechen möchte, ein ebensolches, das – Athenas Körperschatten in dem nun wieder leuchtenden Sonnenball – mit dem Sieg der Vernunft endet.

Damit kommt Kohler, wie am Applaus zu hören, auf jeden Fall dem Opern-Publikum entgegen. Und wie er seine mit skurril gebrochener Gestik verschrägte Neoklassik und die pantomimische Ensemble-Hintergrundsbewegung in Schnittkes polystilistische Concerti Grossi setzt, wie er Auerbachs atmosphärisch wispernd-raunende „Meeres-Klänge“ für lyrisch-dramatische Tanzmomente nutzt – unterstützt von einem animiert musizierenden Staatsorchester unter Myron Romanul – , das schafft durchaus eine in sich geschlossene Ästhetik. Es ist merkbar, dass Kohler ausreichend Zeit hatte, auch individuell mit den Tänzern zu arbeiten.

In den Pas de deux zwischen der langgliedrig-biegsamen Emma Borrowman als Athene mit Lukáš Slavický zeigt sich Kohler als Profi-Handwerker. Der sogar aus einem Brio-Tänzer wie Ilia Sarkisov, hier als Epimetheus, den dramatischen Darsteller herausholt. Sarkisov im Zusammenspiel mit Borrowman und Katherina Markowskajas Pandora, das sind die emotionalen Highlights des Abends. Es ist also viel Lobendes zu sagen. Terence Kohler hat sich seit 2008 mit seinem „Once Upon an Ever After“ entwickelt. Die Tanz-Habitués hätten den Abend lieber kürzer gehabt, kontrastreicher auch in der Gesamtchoreografie. Am liebsten auch formal abstrakter gefasst dieses so beängstigende Phänomen der durch Technologie verursachten autistischen Vereinsamung des Menschen. - Aber der 29-jährige Kohler, bekanntermaßen selbstkritisch, hat ja noch viel Kreativ-Zeit vor sich.

nochmals am 27. 4., 19:30 Uhr
 

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