Verwirrende Jagd nach Innovation

Terence Kohler präsentiert mit „Helden“ zur Eröffnung der Münchner Ballettwoche ein weiteres Mal abendfüllende Neoklassik

Kohlers „Helden“ sind hypnotisch, bleiben aber über weite Strecken rätselhaft.

München, 22/04/2013

Ein Augenschmaus sind Terence Kohlers „Helden“ allemal, so viel steht fest! Die Uraufführung eröffnete am Sonntag die Ballettfestwoche, und zwar im sensationellen Galagewand. rosalie, die Stuttgarter Künstlerin und Bühnenbildnerin arbeitete schon zuvor exzellent mit Kohler zusammen; für diesmal schuf sie eng anliegende, mit mystischen Zeichen bedruckte graue, weiße und schwarze Kostüme. Die Staatsballettänzer sehen darin so kostbar und schön aus, dass schon der Anblick den Eintritt wert ist. Auch eine Reihe bunt irisierender Spiegelrauten, sowie eine perlmuttschimmernde, schwebende Riesen-Quaderwolke verleihen der Nationaltheaterbühne besondere Tiefe (Licht: Christian Kass). Obgleich es oft dunkel ist, zieht eine starke, dreidimensionale Atmosphäre den Zuschauer ins Geschehen.

Mit diesem Geschehen ist es so eine Sache. Kohler nennt seine Helden Prometheus, Athena Parthenos, Epimetheus und Pandora, und so entsteht schon die erste Verwirrung: Die Vermutung, es handle sich um die antiken Charaktere, liegt nahe, ist aber falsch. Es geht vielmehr allgemein um das, was ganz beliebige Menschen zu Helden macht. Prometheus (Lukas Slavicky) ist nur der Paradefall: Als leidenschaftlicher Innovator beschenkt er die Menschen mit Licht, macht sie davon abhängig und fühlt sich dadurch mit reißerischen Sprüngen großartig. Sein reaktionärer Bruder Epimetheus (Ilia Sarkisov) dagegen lehnt die Leuchtdinger in jedermanns Händen ab und verliert deshalb seine Geliebte Pandora (Katarina Markowskaia), deren Neugier sie magisch in die Sucht zieht. Schließlich ersticht Prometheus den Epimetheus nach einem heftigen Streit um Athena Parthenos.

Dieser Charakter, getanzt von Emma Barrowman, ist eigentlich Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Sie begleitet Prometheus‘ ersten Erfolg, vollzieht später Epimetheus‘ Standpunkt nach und animiert zuletzt Prometheus‘ Jünger zur Selbständigkeit: Die Menschen lösen sich aus dem von ihr vorgegebenen, zunächst synchronen, pendelartigen Wellentanz und werden zu Individuen. Jeder ist dazu geboren, ein Held zu sein!

Doch bei all dem bleibt Athena Parthenos‘ Wesen merkwürdig schleierhaft. Um die Weisheit zu verkörpern, ist sie zu abhängig von den verfeindeten Männern. Sie lässt sich mal auf die eine, mal auf die andere Seite ziehen. Zwischendurch krümmt sie sich ratlos, wendet sich angeekelt von Prometheus ab. Sie ist eher ein Opfer, oder aber ein Kind von Vater Innovation und Mutter Reaktion. Der von Saison zu Saison stärkeren Emma Barrowman macht das zum Glück nichts aus: Sie holt alles, was möglich ist, aus dem undurchsichtigen Charakter heraus. Ihre Ironie, ihr Witz, ihr Schock und ihre Hilflosigkeit, zuletzt ihre Überlegenheit, machen fast eine One-Woman-Show aus „Helden“.

Man habe sich bewusst für eine offene, perspektivische Inszenierung ohne Faden entschieden, erklärt das Programmheft, damit der Zuschauer eigene Entdeckungen machen kann. Ein paar mehr Hinweise, oder wenigstens stärkere Dynamiken zwischen den Hauptfiguren, wären da hilfreich gewesen. So aber wird das Publikum zwischen zentnerschweren Motiven, wie Licht in den Händen oder Streit um glänzende Äpfel (gehörte der Apfel nicht zu Paris?) ein wenig allein gelassen.

Im Kontrast zur zerfransten Dramaturgie steht schließlich Kohlers starke Choreografie. Alles dreht sich um Beine: Pliés, Arabesken und verblüffende Hebungen zeigen, dass es hier ums Fortschreiten geht. Der Mensch ist ein Aufrechtgeher, und er kann seinen Antrieb auf viele Weisen nutzen, ja er muss einfach! Manches wirkt naiv, wie die Spielereien mit den Handlämpchen. Anderes geschieht sehr unvermittelt, wie der plötzliche Volksstreit um Athena. Das mindert aber nicht den entschlossenen Eindruck, den die Pas-de-Deux und Gruppenszenen jederzeit machen.

So ratlos die Zuschauer auch zurück blieben, „Helden“ hat einige besondere Momente. Vielleicht muss man das Stück als eine neue Gattung nehmen, als intuitives Handlungsballett sozusagen. Ob die Wahrnehmungsfähigkeit der Zuschauer damit überfordert ist, wird der Spielplan zeigen.
 

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