Themenvielfalt und Tanzbegeisterung
Das 4. Tanztreffen der Jugend lädt eine Woche lang ins Haus der Berliner Festspiele
Das 1. Tanztreffen der Jugend (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung) findet vom 27. 8. - 1. 9. im Berliner Haus der Festspiele statt. Das war längst überfällig, treffen sich doch junge Theaterleute, Musiker und Autoren schon seit Jahrzehnten auf Bundesebene zu Leistungsschau und Austausch. „Tanz erfordert Bewegungsvielfalt und Körperbeherrschung und weckt zugleich Selbstbewusstsein und Kreativität. Tanz ist nicht nur eine sportliche Aktivität, sondern als Kunstform auch ein Teil der kulturellen Bildung“, so Bundesministerin Prof. Dr. Johanna Wanka in ihrem Grußwort.
Aus 60 Bewerbungen hat eine Jury deutschlandweit sieben Produktionen für und mit Jugendlichen aus Bochum, Köln, Münster, Oldenburg, Saarbrücken, Stralsund und Berlin für dieses erste junge Forum des zeitgenössischen Tanzes ausgewählt. Die ganze Bandbreite heutiger Jugend-Tanzstile wird bei fließenden Grenzen zum Schauspiel vorgestellt werden. Die Aufführungen zeigen die (vertanzte) Lebenswirklichkeit der Welt, in der die Akteure leben. Eingeladen sind große Jugend-Tanzgruppen von Theatern bzw. Tanzhäusern aber auch kleine Arbeiten von freien Choreografen mit jugendlichen Akteuren im Alter zwischen 12-24 Jahren.
Jurysprecherin Martina Kessel betont: „Bereits in dieser ersten Ausgabe zeigt sich die Vielfalt des Tanzes und werden die unterschiedlichsten Formen, Tanz mit jungen Menschen zu inszenieren, deutlich. Von Parkouring und Tricking, über HipHop bis hin zu Bewegungsmaterial, das ausschließlich über Improvisation entstanden ist, sind (fast) alle zeitgenössischen Bewegungsformen vertreten. (…) Die Bandbreite an Themen ist nicht nur groß, sondern riesig. Und es sind Themen, die die Welt und alle Menschen angehen.“
In „Cage“ (Jugendtanzgruppe iMove des Balletts des Saarländischen Staatstheaters) tanzen Jugendliche aus dem Saarland und Lothringen im Spannungsfeld von Vorurteilen und Emotionen; Jugendliche aus betreuten Wohngruppen der evangelischen Stiftung Overdyck Bochum hinterfragen in „DA-HEIM“ (Junges Schauspielhaus Bochum) eindringlich „Ist man da zuhause, wo man wohnt? Um Selbstbestimmung in der Gruppe kreist „Höhenangst“ (Tanzwerkstatt des Oldenburgischen Staatstheaters); Comics werden zur kreativen Inspiration für die Stralsunder Jugend Company 2 perform(d)ance e.V., die Kölner Gruppe resisdance thematisiert Gegensätze der Pupertät und zwölf Jungs aus Münster tanzen in „Sophiatown – the spirit of the freedom in us“ kraftvoll auf der Klaviatur des HipHop. Die jungen Leute haben mit unterschiedlichsten Choreografen zusammengearbeitet und waren alle mit ihren Erfahrungen und Ideen an der Stückentwicklung beteiligt.
Die Berliner TanzZeit-Jugendcompany EVOKE hat „Kellerkinder“ (wird am 28. + 30. 8. gezeigt) zusammen mit ihrem Choreografen Kadir „Amigo“ Memis als Teil einer Trilogie erarbeitet. Memis (1974 in der Türkei geboren, 1994 und 2000 HipHop- Weltmeister mit den „Flying Steps“), hat viele Erfahrungen mit Kinder- und Jugendtanzprojekten. Worum es ihm, den fünf Tänzern und einem Rapper geht, beschreibt er so: „Die Schmuddelkinder von heute kommen zur Sprache. Es ist ein Stück über die Verrohung im medialen Zeitalter, über die Härte und Gewalt in der Sprache und in der Bewegungssprache von Jugendlichen. Kinder und Jugendliche benutzen eine besondere Sprache. Kids nehmen viel von den Rappern auf. Doch die Kids werfen mit schwierigen Sätzen der medialen Vergewaltigung um sich; das Wort als Waffe erkennen sie nicht. Kids gehen spielerisch mit dem Battle-Rap um, um einen Gegner kreativ ‚auszuziehen‛. Jedes Jahr entwickelt sich das rasant in immer neuen Stufen der Beleidigung. Für viele ausländische Jugendliche ist ‚die Mutter‛ höchste Stufe der Beschimpfung. Die Situation heute in Deutschland ist bei Lehrern wie Eltern durch ein Nicht-Verstehen dieser Sprache der Jugendlichen gekennzeichnet. Ich entdeckte auch durch meine Workshop-Arbeit, dass die Kids schon mit einer Rolle in die Schule kommen. Sie sind nicht sie selbst. Kids haben heute oft wenig Bezug zur Familie. Am Anfang ist jeder Erwachsene ein Fremder. Sie tasten, testen bei weitem Abstand. Ich hatte wirklich schwierige Zeiten. Ich habe meinen Werdegang erzählt. Auf YouTube konnten sie Street Dance der ‚Flying Steps‛ in Aktion sehen. So gewannen die Kids die Gewissheit, dass ich es ehrlich meine und wirklich mit ihnen zusammen arbeiten möchte. Sie brauchen solche Projekte! Sie schreien, um gehört zu werden. Ein junger Mensch hat von allen Seiten im Alltag in der Großstadt mit Informationsbomben zu kämpfen. Ihre Internet-Gewalterfahrung war schockierend für mich. Es ist schwer, sortierte Informationen zu kriegen. Jeder hat Facebook. Keiner hat Zeit für sich selbst, zur Reflexion. Sie beladen sich mit allem. Harte Körperhaltung, coole Kommentare. Wie muss mein Profil aussehen? Respekt gewinnst du hier nur über abgestumpfte, extreme Coolness. Warum nutzen Kids ‚Schwulsein‛ als Beleidigung? „Kellerkinder“ sagt alles über die verrohte einsame Sprache. Ich habe eine intensive Woche mit Protagonisten von ‚EVOKE‛ gearbeitet. Sie sind ja schon tanzerfahren nach ihrer TanzZeit. ‚EVOKE‛ fragt, was macht ein junger Mensch, der gehört werden möchte? Die Jugendlichen von ‚EVOKE‛ wählten den Choreografen erstmals selbst aus. In solchen Projekten mit bewusster medialer Distanz ohne Übersetzer treten alle direkt in Beziehung. Die Jugendlichen haben hier wenigstens einmal eine Reflexionsfläche. In diesem direkten Prozess des Kennenlernens können wir ihre Themen und Gesten verstehen.“
Ein umfangreiches Campus-Programm mit Workshops und täglichen Aufführungsgesprächen richtet sich an alle Teilnehmer. Auftreten, Schauen, Lernen – ist die Devise für das erste Bundestreffen junger Tänzerinnen und Tänzer. Ihre Erwartungen an Berlin sind groß, und die Tanzhauptstadt freut sich auf junges Tanz-Theater, das unter die Haut und ins Herz geht – auf ins Haus der Festspiele!
Tickets ab 8,- (ermäßigt 5, -)
www.berlinerfestspiele.de
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