Richard Siegal geht (zurück) nach Bayern
Das Staatstheater Nürnberg bekommt ab der Spielzeit 2025/26 einen neuen Ballettdirektor
Auf der Bühne leuchtet eine kreisrunde Fläche, und wird langsam als Trommel erkennbar. O-Taiko nennt sich das japanische Instrument und soll bei Yasuyuki Endos „Tamago“ (zu deutsch: Ei) den Ursprung symbolisieren, auf den sich sein Stück mal hin- und wieder wegbewegt, zerrieben wird zwischen archaischem Zauber und artifizieller Welt. So wird der eingespielte elektronische Soundteppich schnell von Live-Trommeln abgelöst. Die Hauptrolle spielen dabei nicht die Tänzer, sondern der ehemalige Kodo-Trommler Leonard Eto. Dumpfe Schläge pulsen durch den Raum, der treibende, monotone Rhythmus erweckt die Tänzer. Sie rollen im Halbdunkel auf die Bühne, umschlingen und überlagern sich. Ihre Körper formen Skulpturen, werden zu einem Wesen mit acht Beinen. Yasuyuki, selbst langjähriger Tänzer beim Ballet National de Marseille, kreiert mit „Tamago“ ein Stück für sich und drei Tänzerinnen, das die Kraft der Musik zelebriert. Verstummt diese, taumeln die Tänzer durch den Raum, drehen sich mal um sich selbst oder stehen still. Der einzige fixe Punkt ist der Klangmeister, der die Zeremonie des Werdens immer wieder von Neuem beginnen lässt. Die Schläge auf den mächtigen Trommeln rotieren durch den Körper, rollen in den Gelenken. So wie Blut den Körper als Lebenssaft durchströmt, ist es hier die Musik, die den Tanz nährt. Die Trommelklänge ziehen die Tanzenden auf Spitze, lassen ihre Oberkörper nach hinten klappen, sie auf den Boden gleiten. Gegen Ende kommt der offensichtliche Bruch. Weiße Lichtquadrate fangen die Körper der Tänzer ein, lassen sie künstlich scheinen wie in einem Videospiel. Abgehackte, steife Bewegungen entfernen sie vom expressiven Tanz zur Trommel.
So ist zumal die einzige Verbindung zwischen den beiden Stücken des Abends, dass es Auftragswerke des Ballet National de Marseille sind und im Juli 2014 beim Festival de Marseille uraufgeführt wurden. Denn auf die tranceartige Stimmung in „Tamago“ folgt ein Disco-Spektakel Richard Siegals, das so abrupt endet wie es beginnt. Stechend durchfährt ein einzelner Ton den Raum, dunkel und grell zugleich. Ein Spot blitzt auf, taucht mit seinem Strahl ein kleines Stück der Bühne in gleißendes Licht. „Metric Dozen“ schreit nach Aufmerksamkeit. Da steht ein einzelner Körper wie festgefroren. Aus einem werden zwei, vier und fünf. Silbrig-schwarz schimmern die schlichten Bodies der Tanzenden. Auf Zehenspitzen und mit vom Körper abgespreizten Händen stolzieren sie über die dunkle Bühne. Ausschnitthaft scheinen diese Bewegungsmomente auf – zerstückelt von Licht und Klang. Auch diesmal setzt der amerikanische Choreograf auf Schwarmintelligenz. Seine Neugier an Kommunikationsprozessen und sozialen Beziehungen zwischen den Menschen ist ungebrochen. Wie zuvor bei seiner installativen Tanzperformance „Civic Mimic“ schafft er aus einem strikten choreografischen System einen Sog aus Bewegungen und Klängen, der einem geordnetem Ausbruch gleicht. Er spielt Anordnungen durch, staffelt seine Tänzer in Reihen und Mengen, aus denen sich im nächsten Moment einzelne von ihnen wieder abspalten, um neue Formationen zu bilden. Lässig tänzeln sie zur elektronischen Musik Lorenzo Bianchi Hoeschs – mit dem Siegal bereits für sein Stück mit der Göteborgsoperans Danskompani und bei seinem Solo „Black Swan“ zusammenarbeitete. Arme kreisen, die Hände wirbeln. Beine stechen in die Luft, durchschneiden den Raum. Sie voguen, wuppen ihre Hüften quer über die Bühne und nehmen mit in eine exzentrische Choreografie, in der jedes einzelne Körperteil zu sprechen scheint. Discomoves wechseln mit neoklassischem Vokabular, das Forsythes Einfluss, in dessen Kompanie Siegal lange Jahre tanzte, spürbar macht. „Metric Dozen“ ist energiegeladener Tanz, der das Spektakel sucht und zersetzt. Frech greift Siegal hinein in den Pott der Möglichkeiten, und schafft es nach seinem Erfolg mit „Unitxt“ am Bayerischen Staatsballet noch einen Schritt weiterzugehen – was der künstlerischen Vision Emio Grecos und Pieter Scholtens, dem Ballet National de Marseille eine neue, aufregende Komponente zu verleihen, entsprechen dürfte.
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