Man muss die Arbeit lieben
Ein Interview mit Richard Wherlock
In weichen schwarz-weiß Kontrasten, versteckt und doch sichtbar hinter durchsichtigen Vorhängen, eingebettet in Videoprojekten von Wolken, Regen und einer Tänzerin, und umgeben von einem vollen, intensiven Klang erzählt der französische Choreograf Jean-Philippe Dury in „CEL Black Days“ (2012) von der Jugend und Träumen. Entrückt wie in einer anderen Welt wirken die Tänzer, wenn sie als geschlossene Gruppe auf die Bühne kommen und sich in rituellen Formationen bewegen. Einzelne Paare treten kurzzeitig heraus, bleiben mit ihren Bewegungen aber ein Teil des Ganzen. Nur eine fast nackte und in dieser Blöße schier zerbrechlich anmutende Tänzerin, taucht immer wieder am Rand der Bühne auf, krümmt sich, scheint mit sich zu ringen, ist mit ihrem Tanz ganz bei sich. Auf der Bühne so klein wirkend und in den Close-up-Projektionen so bühnenfüllend, umschließt sie das Geschehen und steht doch außen vor. Dury gelingen in seinem Stück vielsagende und ergreifende Momente, die trotz der unwirklich entrückt wirkenden Ausstattung durch ihre extrem physische Bewegungsqualität nie gänzlich die Bodenhaftung verlieren.
Zurückgelassen in der Dunkelheit einer Umbaupause und umgeben von spürbarer Anspannung und Konzentration öffnet sich mit dem zweiten Stück des Abends eine gänzlich andere Welt. Bunt – das dürfte das Erste sein, das einem nach Durys schwarz-weißem Kosmos nun unübersehbar trifft. Fünf hängende Säulen in typischem 1960er Jahre Orange, angeleuchtet in einer etwas schummrig wirkenden Glühbirnenästhetik, Tänzerinnen und Tänzer in knallig bunten Kostümen und mit Frisuren, wie man sie zuletzt in alten Familienalben gesehen hat. Und dazu ertönt Dusty Springfield – die englische Pop- und Stilikone der 1960er. Richard Wherlock, verantwortlich für Choreografie, Bühne und Kostüme, stellt in seinem neuen Stück „Straight to the Heart“ ein Lebensgefühl auf die Bühne. Die Choreografie zelebriert Leichtigkeit, die dennoch nicht ohne tiefgehende emotionale Passagen, gerade in den Pas de deux, ist. Besonders schön sind zwei Frauen-Pas-de-deux. Es wird fast vollständig auf Hebefiguren verzichtet, was die Dualität, die oft in Pas de deux zu sehen ist, unterläuft und so intime Momente von gleichberechtigter Kommunikation erlaubt. Auch wenn Wherlock in seiner Choreografie die Leichtigkeit des Pop, den Zustand des Schwebens durch eine bunte Welt, die dennoch nicht ohne Schmerz und Konflikte ist, auf gekonnte und mitreißende Art und Weise einfängt, gelingt es nicht allen Tänzerinnen und Tänzern des Ballett Basel sich auf dieses Bewegungsgefühl wirklich einzulassen.
Noch schwelgend in dieser bunten Welt aus Lovesongs, Schmusedisko und Liebeskummer trifft einen Ed Wubbes „Holland“ (2009) mit Wucht. Hineinversetzt in die Gemälde von van Eyck, Memling und Vermeer und umgeben von einem Wind, der über die tiefen Ebenen der Niederlande weht, tanzen Wubbes Tänzerinnen und Tänzer mit konzentrierten, langsamen und beeindruckend kraftvollen Bewegungen, die ihre Energie aus der Körpermitte zu schöpfen scheinen. Einziger Farbpunkt in der Kulisse aus dunklen Wolken ist eine von der Decke hängende Blumenkugel. Gleichförmig in den Kostümen und in der Gruppe eine teilweise aggressive Kraft entfaltend, tritt doch jede Figur als Individuum mit ihrer ganz eigenen Bewegungssprache in Erscheinung. Ebenso vielfältig ist die Musik. Die Kombination von Werken von Kimmo Pohjonen, Eric Echampard, Fabian Smit und Niccolo Paganini spannt einen großen Zeitrahmen und ein emotionales Spektrum auf, das jedoch meist mit einem leicht melancholischen Grundtenor versehen ist. Dieses Holland, das gefüllt ist mit Geschichte, bewegt sich dennoch unaufhörlich weiter, wenn am Ende eine zweite Blumenkugel wie das Pendel einer Uhr gleichmäßig und beständig über die Bühne schwingt. Dies ist sicherlich das choreografisch und inszenatorisch vielfältigste und reichste Stück des Abends, denn Ed Wubbe schafft es, sein Holland in gleicher Weise emotional als auch intellektuell zu präsentieren und fordert damit die ganze Aufmerksamkeit seines Publikums ein. Ob dieses Holland sympathisch ist oder nicht, muss wohl jeder für sich entscheiden; dass es vielfältig, ambivalent und spannend ist, ist nach diesem Abend sicherlich klar.
„Dance talks“ erzählt so nicht nur drei unterschiedliche Geschichten, es erzählt auch von der Vielseitigkeit des zeitgenössischen Theatertanzes. Das Ballett Basel bietet einen spannenden und kontrastreichen Tanzabend, der nicht zuletzt darauf verweist, dass sein Chef Richard Wherlock seinem Publikum etwas zutraut. Denn ohne die Bereitschaft, sowohl der Tänzerinnen und Tänzer als auch des Publikums, sich an einem Abend auf drei unterschiedliche Welten, drei Tanzsprachen und ein enormes emotionales und intellektuelles Spektrum einzulassen, kann dieser Abend nicht funktionieren. Aber mit
dieser Bereitschaft öffnet er Türen.
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