Augenrollen und Leidenspunkte
Das 15. Internationale Solo-Tanz-Theater-Festival
Zum Auftakt des 18. Internationalen Solo-Tanz-Theater Festivals in Stuttgart
Vorfrühling, das heißt Mitte März messen sich vier Tage lang Solotanz-Künstler aus der ganzen Welt im Stuttgarter Kulturzentrum Treffpunkt Rotebühlplatz. Veranstaltet von der Volkshochschule, gefördert von der Stadt Stuttgart, der Tanja Liedtke-Stiftung sowie einer Reihe tanzaffiner Unternehmer und Privatleute, feiert das Internationale Solo-Tanz-Theater Festival im 18. Jahr seines Bestehens nicht nur seine Volljährigkeit, sondern mit 380 Bewerbungen, so VHS-Direktorin Dagmar Mikasch-Köthner, einen Rekord. Keine einfache Aufgabe für das vierköpfige Kuratoren-Team (bestehend aus dem Festival-Gründer Marcelo Santos, der Kunsthistorikerin und Tanzkritikerin Petra Mostbacher-Dix, der Veranstaltungsleiterin Gudrun Hähnel und der Kulturmanagerin Birgit Brinkmann) daraus eine Shortlist der sehenswürdigsten Kandidaten und Produktionen zu erstellen.
Allesamt Newcomer haben die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer internationale Tanz- und Performance-Erfahrung. Sechzehn der 18 Soli im Wettbewerb sind Premieren. In den meisten Stücken sind Tänzerin/Tänzer zugleich Choreografin/Choreograf. Die Griechin Loukiani Papadaki lotet in „Before Panic, rest.“ die Rolle des mythischen Hirtengottes Pan aus. Mit finnischem Humor und Faible für Urban Dance Styles begibt sich Wilhelm Blomberg in „As Fela says“ auf die Suche nach den Superhelden der Tanzclubs, während der Schweizer Demian Haller, ursprünglich Elektriker plus sieben Jahre Shaolin-Kung-Fu-Erfahrung, in „Reels of Film“ das Innen und Außen von Raum und Körper erkundet.
Erstmals in der Geschichte des Internationalen Solo-Tanz-Theater Festivals entführt eine Künstlerin in den Kosmos des indischen Tanzes: „Trikonanga“, was wörtlich Dreieck-Körper bedeutet und die Trinität aus Kopf, Bauchnabel und Zehen meint, ist ein Werk, in dem Hemabharathy Palani neun Emotionen durchlebt und ihre indische Tradition – in der Tänzer autonom über Rhythmen und Pausen entscheiden – durch Elemente aus Ballett und Modern Dance bereichert.
Von Artistik und akademischen Tanz über Contemporary bis zur Clownerie schäkert die israelische Tänzerin Shani Katzman in „Joker“ mit dem Publikum. Der Choreograf Shlomi Frige lässt sie in dieser Paraphrase auf „Jeux des cartes“ zu gesprochenem Text und der Musik von Philip Glass immer wieder die Karten mischen. Doch jedwede Karte zeigt nur ein Motiv: den Joker, und der kann scheinbar alles – ein abgekartetes Spiel, das den Zuschauer zum Narren halten will?
Im Zentrum des Stückes „Bad Education“ von Zoltán Grescó steht Kritik an der konservativen Tanzausbildung – nicht nur in Ungarn: Jenna Jalonen beißt, mit fragendem Blick Richtung Publikum, in einen knackigen Apfel und verschwindet, um kurz darauf mit dem eigentlichen Auftritt zu beginnen: ein langer Gang geradewegs auf das Publikum zu. Unmittelbar vor der ersten Reihe zaubert sie ein Ei hervor, das ihr, scheinbar zufällig, aus der Hand rutscht und mit einem Klatsch auf dem Tanzboden zerbricht. Dem Missgeschick als Motiv folgen skurrile Ablenkungsmanöver. Der Subtext dieser finno-ugrischen Tanzproduktion, der Biss um Biss, wie Schritt um Schritt neue Erkenntnisse liefert, ist ein Stück voll subtiler Lesarten – bis hin zur Einsicht, dass Tänzer für'n Appel und'n Ei zu fast allem bereit sind.
Anders als im Literaturbetrieb, bei dem den Kandidaten von Longlist und Shortlist bereits im Vorfeld der Preisvergabe viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, häufig mit Interviews, Rezensionen, öffentlichen Debatten, teils sogar mit inszenierten Skandalen und Lagerkämpfen der Lesestoff ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt wird, führen Tanzschaffende eine klägliche Randexistenz, sind von notorischem Schweigen umhüllt. Und das, obwohl Kenner immer wieder behaupten, im zeitgenössischen Tanz seien die innovativsten Impulsgeber des Kulturbetriebs zu finden.
Auch wenn die vorgegebenen neun bis zwölf Minuten für manchen zu kurz (für manchen auch zu lang) sind, um eine choreografische Idee zu entfalten und auf den Punkt zu bringen, der Auftritt in der Stuttgarter Black Box ist eine gute Gelegenheit zum internationalen Vergleich. Auch wenn das Preisgeld insgesamt nur dem eines einzigen Literaturpreises entspricht, mit insgesamt 16.000 Euro Preisgeld, verteilt auf acht Preise plus einem zusätzlichen Videodanse-Preis sind die Chancen der Finalisten groß, ausgezeichnet zu werden. Auch wenn der Robert-Bosch-Saal im Treffpunkt Rotebühlplatz nur 230 Besucher fasst, und damit vom wachsenden Interesse überfordert ist, via Liveübertragung kann das Programm im Internet für weniger als'n Appel und'n Ei verfolgt werden unter.
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