Fader Finstertanz im Sternenkabinett
Das Staatsballett irritiert mit einem zweigesichtigen „Nussknacker“
Zusätzlich zu dem Prachtband, der Vladimir Malakhovs Jahrzehnt beim Staatsballett würdigt, ist auch die Programmbroschüre für die Gala „Malakhov & Friends“ eine Fotostrecke um das Berliner Wirken des Tänzerstars. Goldene Momente von Auftritten zwischen 2004 und 2013 sind in Meisteraufnahmen fixiert. Auch die Gala selbst mit der Unterzeile „The Final“ ist eine Art tänzerischer Schlussstein für die „Kathedrale“ Staatsballett, an deren Bau er maßgeblich mitgezimmert hat. Kein Wunder, dass die anderen Akteure des fast dreieinhalbstündigen Defilees zumindest in der Broschüre zur Größe von Briefmarken schrumpfen. Alles dreht sich noch einmal um den Intendanten und Ersten Solotänzer. In vier der 18 Beiträge des musikalisch bestens begleiteten Abends an der Deutschen Oper lässt er gewissermaßen seinen Weg vom romantischen Helden zum beeindruckenden Darsteller heutiger Tage Revue passieren. Dazwischen reichen sich internationale Gäste und hauseigene Solisten die Stafette zu einem Kaleidoskop der Auffassungen und Stile, im ersten Teil mit starker Betonung des elegischen Moments.
So geleitet Malakhov im einleitenden cis-Moll-Walzer aus „Les Sylphides“ die zierliche Japanerin Mika Yoshioka sicher durch den ätherischen Parcours. Ihre Kollegin Mizuka Ueno, auch sie vom Tokyo Ballet, Malakhovs zukünftigem Arbeitsplatz, hat beim Adagio der Odette aus „Schwanensee“ in Matthew Golding als Gast vom Royal Ballet London keinen eben feinnervigen Partner. Und ob die Ausgrabung „Leda und der Schwan“ aus Roland Petits „Ma Pavlova“ um die einstige Wunderballerina Anna Pavlova in ihrem Schwulst lohnt, ist zu fragen, selbst wenn sich Nadja Saidakova ihrem „Schwan“ Malakhov gestalterisch intensiv um Körper und Bein windet. Als Gewinn aus dem Petit-Erbe erwies sich hingegen die Wiederbegegnung mit dem Kampf der beiden Engel aus seinem Proust-Ballett „Les intermittences du coeur“, einst lange im Repertoire der Deutschen Oper: Rainer Krenstetter und Marian Walter als perfekte Spiegelbilder boten in physischer Harmonie und tänzerischem Gleichfluss eine der Glanzleistungen dieses Abends. Zu denen zählt ebenso der sensible Pas de deux aus John Neumeiers „Kameliendame“ in Lucia Lacarras atemverschlagender Hingabe an „Armand“ Marlon Dino, beide Stars vom Staatsballett München. Nach so viel Liebe und Leid hatten es Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru im Grand pas de deux aus „Don Quixote“ leicht, die Zuschauer erhoben in die Pause zu entlassen, zumal in ihrer feurigen, technisch nahezu makellosen Präsentation.
Eher enttäuschend fiel die Uraufführung des Programms aus. Auch Sidi Larbi Cherkaoui, derzeit einer der Topchoreografen, blieb glücklos, Malakhov ein neues Solo auf den strapazierten Leib zu schneidern: zu viel Armgewedel, zu wenig Bezug zum Thema, auch wenn wirkungsvoll falbe Blätter fallen und Alina Pronina Szymon Brzokas Piano-Invention mit auf der Szene zelebriert. Es folgen eine Suite zu Sinatra-Songs; ein witziges Solo um einen Tänzer, den kommandierend eine Stimme aus dem Off in den Zusammenbruch treibt; eine weitere Suite, diesmal nach Kompositionen von Léo Delibes; ein hebegewaltiger Pas de deux aus „Spartacus“, in dem Irina Perren und Marat Shemiunov ebenso gewaltig ihre russische Schule zeigen können. Wie brillant Elisa Carrillo Cabrera und Nadja Saidakova barfuß Mauro Bigonzettis „Duetto Inoffensivo” bewältigen, mit souveränem Staccato-Gestus gegen den Fluss des von Marita Mirsalimova am Flügel begleiteten Rossini-Prélude, ließ nochmals das Staatsballett im Reigen der illustren Gästen aufleuchten. Welche Zukunft als Tänzer Gastgeber Malakhov haben könnte, bewies das Finale. „The old man and me“ von Hans van Manen ist der bewegend altersweise Versuch einer Frau, einen Senior zu umgirren, bis er sich endlich auf sie einlässt, doch ohne Happy End. Musik von Strawinsky und Mozart koloriert die feingewirkte, ironisch unterfütterte Miniatur, in der sich Beatrice Knop und Vladimir Malakhov als profunde Künstler die Bälle zuwerfen. Dass bei der Premiere in den verdienten Jubel hinein Kultur-Staatssekretär André Schmitz dem scheidenden Ballerino die Berufung zum Berliner Kammertänzer überreichte, entbehrt nicht des Makabren: War es doch der Kultursenat, der Malakhov auf elegante Weise in die Flucht nach vorn getrieben hat.
Bis 27.2., wieder 27., 28., 31.3., Deutsche Oper
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