Das Ringen des Einzelkämpfers

Olivier Dubois mit „Elégie“ in München

Das Ballet National de Marseille, 1972 von der Choreografen-Legende Roland Petit gegründet und weltweit gefeiert, gastierte zum allerersten Mal in München! Uraufgeführt 2013 beim „Août en Dance“, wurde es als Meisterwerk gewertet.

München, 14/09/2014

Das Ballet National de Marseille (BNM), 1972 von der Choreografen-Legende Roland Petit (1924-2011) gegründet und weltweit gefeiert, gastierte zum allerersten Mal in München! Die Muffathalle mit der „Access to Dance“-Förderung und nicht zuletzt Cornelia Albrecht haben es ermöglicht. Nach ihrer Geschäftsführung des Wuppertaler Pina-Bausch-Tanztheaters 2012 zum BNM gewechselt, aktivierte Albrecht nun offensichtlich ihre alten München-Kontakte. Schon in den 80er Jahren holte sie zusammen mit ihrem Ehemann und Alabama-Hallen-Chef Wilfried Albrecht die US-amerikanische und kanadische Tanz-Postmoderne nach München – von Merce Cunningham bis zu Edouard Locks Lalala Human Steps; als Dance-Kuratorin dann die internationale Postpostmoderne.

In diese entgrenzte Tanzform ist das am zweiten Gastspieltag gezeigte Stück „Elégie“ von Olivier Dubois einzuordnen. Uraufgeführt 2013 beim Marseiller „Août en Dance“, wurde es als Meisterwerk gewertet. Dubois, Sohn wohlhabender Eltern und für eine Diplomatenlaufbahn vorgesehen, wurde durch plötzlich aufflammende Leidenschaft mit 23 ein Spätstart-Tänzer, durch eisernes Training immerhin engagiert bei den illustren Postmodernen Jan Fabre und Angelin Preljocaj. Und bald danach avancierte er zum Steilstart-Choreografen, mit jüngst internationalem Erfolg.

Was er vielleicht sogar seinem späten Tanzbeginn verdankt: Dubois, inzwischen Leiter des Ballet du Nord in Roubaix, geht nicht als Tänzer an eine Choreografie heran, sondern als Architekt mit existenzphilosophischem Anspruch. In seinem hochgelobten „Tragédie“ von 2012 schickte er achtzehn völlig nackte Tänzer in einfachen minimalistischen Schreitmustern über die Bühne. Dubois' Credo, in der Nacktheit lege man die Menschlichkeit bloß, und Menschlichkeit müsse kultiviert werden, gilt auch für „Elégie“.

Auf nachtdunkler Bühne ist eine zunächst ruhende, dann kriechende klumpige Masse zu erahnen, auf der ein Tänzer, von geschickter Lichtregie hervorgeleuchtet, seinen Weg sucht: kletternd, abrutschend und erneut seinen sich bald heftiger hochtürmenden Untergrund erklimmend. Die „Masse“, das sind sechzehn Tänzer in schwarzen Ganztrikots, die, fortwährend umdonnert von Francois Caffennes krachenden elektronischen Gewittersalven, in staunenswerter Gemeinschafts-Präzision diesen halbnackten Adam tragen, stützen, durch die Luft wirbeln und ihn wie ihn einem Krater auch wieder verschlingen.

Dubois hat als Inspiration Rilkes „Duineser Elegien“ angegeben. Das ist hochgegriffen. Und doch trifft bei diesem zähen fortgesetzten Ringen des Einzelkämpfers mit einem dunklen widerständigen Element – Metapher für die Existenz schlechthin – Rilkes Ruf „Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?“ Man ist voller Bewunderung für Dubois' dramaturgische Konsequenz, für die durch Caravaggio-Helldunkel und Weltenbrand-Soundkulisse geschaffene mythische Atmosphäre. Dennoch erlebt man die exakte Wiederholung der 30-Minuten-Sequenz nun mit einer Tänzerin, wie immer logisch begründbar, als künstliche Dehnung auf abendfüllende Länge.
 

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