Fremdkontrolle und Eigenauskunft
In „Part of You“ verhandelt Grupo Oito das Thema Überwachung
Ricardo de Paulas „Dance for Sale“ thematisiert die Verkäuflichkeit von Tanz
Das Ganze ist ein Riesenspaß mit tieferem Hintersinn. Als der brasilianische Tänzer und Choreograf Ricardo de Paula für ein Soloprojekt 2009 bereits die Zusage auf finanzielle Förderung in der Tasche hatte, trat im Bezirk Pankow eine Haushaltssperre in Kraft. Gleichzeitig wurde seitens des Senats mit gewaltigem Aufwand das Haus der Berliner Festspiele saniert. Und der Senat zahlt weiterhin die Mieten, deren Summe mittlerweile den Erlös aus dem einstigen Verkauf übersteigt. Die 150.000 Euro, die Pankow damals für die freie Kunst gestrichen hat, machen von dieser Gesamtsumme lediglich 5 Promille aus, wie eine Zeitung recherchiert hat. Das erfährt man aus kleinen Lautsprechern, mit denen de Paulas Tänzer seiner Grupo Oito auf der Szene agieren. Die umfasst die ganze Fläche im Ballhaus Naunynstraße, wo es sich das Publikum ringsum auf dem Boden gemütlich machen darf. Zuvor erhält man bei Eintritt Spielzeugdollar, denn um Geld geht es hier. In ihrer Performance „Dance for Sale“ fragen de Paula und sechs weitere Akteure nach dem Preis für Tanz, und der fällt bekanntlich fast immer geringer aus als bei anderen Künsten. Im Saal hängen raumhoch bekannte Werbeprospekte für Produkte von Blumen über Duschgel bis zur Waschmaschine und an einem Verkaufstisch kann man Gruppe-Oito-Souvenirs vom T-Shirt bis zum Slip erwerben.
Denn wenn dem Tanz finanzielle Zuwendung stetig abhanden kommt, muss er sein Minimum an Produktionsgeld selbst erwirtschaften. Wie das funktionieren könnte und dabei noch jede Menge Laune macht, beweist „Dance for Sale“: Tanz als knallhartes Produkt.
Nach kurzem Einstieg, der die Tänzer vorstellt und sie sich erwärmen lässt, kostümieren sie sich mit Werbeprospekten und bieten auf Plakaten ihre Leistungen an. Dann geht es zur Sache. Zwei Verkaufsmanager rufen die verfügbaren Tänze aus. Wer sich für einen oder mehrere davon interessiert, zahlt mit allen oder einem Teil seiner Dollar und tut sich mit anderen „Käufern“ zusammen, denn erst ab 20 Dollar treten die Tänzer in Aktion. Die geschieht in einem kleinen Zelt, vor dem sitzt, wer bezahlt hat, und stehen muss, wer nur zusieht.
Drei solcher fröhlichen Verkaufsrunden finden statt, pro Runde laufen dann vier mehrminütige Tänze in zufälliger Reihung, je nach Auswahl durch die „Kunden“. Staunenswert weitgespannt ist das Repertoire der vielseitigen Grupo Oito. Bei der Premiere begann der Parcours mit Frevo, einem traditionellen, aus der Capoeira hervorgegangenen nordbrasilianischen Tanz, hier als Männersolo mit Schirmchen, Tiefschrittartistik und Folklore- Elementen. Was de Paula als Methode selbst entwickelt hat und auch unterrichtet – „Get Physical Process“ - erwies sich bei einem Paar als amüsante Körperarbeit aus Stürzen, Nackenwicklern, Verklammerungen und Äquilibristik. Zu ungarischem Gesang, wie aller Ton vom Band, gaben drei Models mit Sonnenbrillen rappig den „Gypsy“; „Smell“ lässt ein Paar in engstem Kontakt ständig am Partner riechen. Spätestens hier merkt man, dass alles nicht gar zu ernst gemeint ist. So trippeln etwa zum Hauptthema aus „Schwanensee“ zwei Frauen barfuß und erzeugen die Illusion von Ballett; zwei Frauen reagieren in „Give me a word“ pantomimisch auf Begriffe; bei „Mundo moderno“ setzt Sprechrhythmus einen Tänzer hüpfend in Bewegung. „Girls“ beginnt slow und schmusig und vereint zwei Mädchen in demonstrativer Körpernähe.
Zu den gelungensten Miniaturen zählt „I love you“: Was bei dem Paar eher ruppig beginnt, wenn der andere durch Armverdrehen zu Boden gebracht, eher grob niedergehalten wird, kulminiert, als man die Hoffnung längst aufgegeben hat, unerwartet in zärtlich schmiegender Endpose. Liebe, es gibt sie also doch, selbst in der rauen Gegenwart. Exzellent fällt die Samba aus, die nichts mit ihrer europäischen Salon-Variante zu tun hat und hier ein ganzkörperlich geschmeidiges Männersolo im weißen Anzug und mit Hutjonglerie ist. Gelöst und unbefangen klingt die Show aus: Zu Chubby Checkers unverwüstlichem „Let’s Twist again“ von 1961 bietet ein Paar mit varianten Körperschleudern und strahlendem Gesicht geradezu infizierende Tanzfreude. Auch die ganze Crew kann sich freuen, denn wäre es um echtes Geld gegangen, hätte sie an diesem Abend endlich einmal gut verdient.
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