Spaß mit tieferem Hintersinn
Ricardo de Paulas „Dance for Sale“ thematisiert die Verkäuflichkeit von Tanz
Ricardo de Paula gehört zu den Berliner Choreografen, die sich weder mit modernem Schöntanz noch mit individueller Nabelschau zufriedengeben. Seine Stücke wurzeln im Alltag und scheuen bewusst nicht heiße Eisen. So fragte etwa „Sight“, wie dem weltweiten Phänomen wachsender Müllberge beizukommen sei. Ausgangspunkt dafür war die reale Geschichte einer Frau, die über 20 Jahre in der Müllstadt nahe Rio de Janeiro gelebt hat; Ziel ist der Appell, neue gesellschaftliche Vorgehensweisen zu wagen. „Dance for Sale“ thematisierte die Verkäuflichkeit von Tanz und hatte sich an einer zugesagten finanziellen Zuwendung für ein Projekt entzündet, die eine Haushaltssperre zunichte machte, während der Senat mit gewaltigem Aufwand das Haus der Berliner Festspiele sanierte. Tanz nur noch gegen Geld: Die Zuschauer im Ballhaus Naunynstraße erhielten Spielzeugdollar und mussten überlegen, für welche Darbietung sie die ausgeben wollten. Dementsprechend durften sie an den vielen kleinen Aktionen teilnehmen. Gut verdient hätten die Akteure an diesem Abend – wäre es um echtes Salär gegangen.
Auch die neue Produktion von Ricardo de Paula orientiert sich an einem aktuellen Problem: Überwachung unserer Gesellschaft über Kameras wie Geheimdienste. Dass wir es den Geheimdiensten leicht machen, weil wir über Smartphone, Laptop, kommunikative Internetplattformen nur allzu bereitwillig Auskunft über unser Leben geben, ist die andere Seite. Insofern tragen wir selbst mit Verantwortung für die digitalen Spuren, die wir täglich irgendwo hinterlassen. Doch das, resümiert Ricardo de Paula, scheint niemanden zu stören. Es wird weiter gesimst, gepostet, getwittert, über Facebook offengelegt, wissend, dass wir den Secret Services damit bestens zuarbeiten. „Part of You“ nähert sich „dem schleichenden Prozess der zunehmenden Überwachung und Kontrolle in seinen Auswirkungen auf unsere Körper und die Wahrnehmung des Raumes“, will das digitale Unfassbare greifbar machen. Auf wie viel Freiheit sind wir bereit zu verzichten, was unterliegt der eigenen Kontrolle, und wie viel davon sind wir willens abzugeben, lauten die Fragestellungen in „Part of You“.
Wieder legt de Paula den Schwerpunkt auf das Politische im Körper und forscht dessen Veränderungen nach. Sein Engagement für soziale Themen nimmt nicht wunder, stammt Ricardo de Paula doch aus Belo Horizonte, einem Brennpunkt des brasilianischen Lebens und zugleich einem Schmelztiegel der Kulturen. Seit 1987 studierte er dort klassischen und modernen Tanz sowie Jazz und arbeitete mit renommierten Gruppen wie der Grupo Corpo in Brasilien und DV8 Physical Theater in England. Mittlerweile lebt er in Berlin, tanzte bei Sasha Waltz, Felix Ruckert, Christoph Winkler. 2006 gründete er mit Grupo Oito seine eigene kleine Kompanie, die unabhängige Performer aus Frankreich, Spanien, Deutschland und Brasilien vereint, neben zeitgenössischem Tanz auch Capoeira und Kontaktimprovisation einsetzt und über de Paulas selbst entwickelten „Get Physical Process“ zu Stücken verschweißt.
13.-18.4., Ballhaus Naunynstraße, Naunynstr. 27, Berlin-Kreuzberg
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