„Der Tod in Venedig“. Tanz: Aljoscha Lenz und Carsten Jung

„Der Tod in Venedig“. Tanz: Aljoscha Lenz und Carsten Jung

Große Fußstapfen, gekonnt betreten

Rollendebuts in „Tod in Venedig“ beim Hamburg Ballett

Seit der Uraufführung 2003 verkörperte Lloyd Riggins in der ihm eigenen, ebenso charaktervollen wie seelentiefen Art Gustav von Aschenbach. Durch die neue Besetzung gewinnt das Stück an Tiefe.

Hamburg, 25/10/2014

Die Fußstapfen waren groß und tief, in die es zu treten galt bei diesen Rollendebuts in John Neumeiers „Tod in Venedig“: Seit der Uraufführung 2003 verkörperte Lloyd Riggins in der ihm eigenen, ebenso charaktervollen wie seelentiefen Art Gustav von Aschenbach, den Neumeier in seiner Interpretation des Romans von Thomas Mann nicht als Schriftsteller und auch nicht als Komponisten (wie Visconti im Film), sondern als Meisterchoreograf angelegt hat. Edvin Revazov als Erstbesetzung verlieh dem Jüngling Tadzio eine ganz eigene Statur: groß, schön, und der Rolle entsprechend noch etwas unbeholfen – ein Füllen auf der „Weide“ der venezianischen Lagune. Silvia Azzoni und Alexandre Riabko waren Aschenbachs Konzepte, Laura Cazzaniga Tadzios kapriziöse Mutter und ebenso Aschenbachs herrische Assistentin.

Jetzt, in dieser Spielzeit, präsentierte sich das Stück erstmals in völlig neuer Besetzung: Carsten Jung ist Aschenbach, der erst 21-jährige Gruppentänzer Aljoscha Lenz ist Tadzio, Hélène Bouchet und Karen Azatyan sind Aschenbachs Konzepte und Anna Laudere Tadzios Mutter bzw. Aschenbachs Assistentin. Um es vorwegzunehmen: Das Stück gewinnt durch diese neue Besetzung eher noch an Tiefe, die Charaktere erscheinen noch klarer und verständlicher.

Carsten Jung verleiht seinem Aschenbach eine virile, kantige, markante Präsenz, ohne je in eine Altherren-Allüre abzugleiten. Wo Lloyd Riggins mehr die Feinnervigkeit des Künstlers betont, das Empfindliche, Introvertierte, ist Carsten Jungs Aschenbach mehr extrovertiert, stärker, kraftvoller, ohne an Sensibilität einzubüßen.

Der bildhübsche Aljoscha Lenz bildet dazu mit seiner jugendlichen, erotischen Ausstrahlung einen großartigen und verlockenden Kontrast. Man versteht sofort, dass er diesem älteren Mann ins Auge sticht, und man versteht ebenso, warum er die versteckte, verleugnete, unterdrückte Homosexualität schlagartig zu aktivieren und herauszulocken vermag. Die Tragik der unerfüllten Liebe dieses Aschenbachs rückt hier zum Greifen nah ins Bewusstsein – und findet ihren Höhepunkt in dem bewegenden Schluss-Pas de Deux zu Isoldes Liebestod von Wagner. Leider wird dieser Part immer noch begleitet von der Pianistin Elizabeth Cooper (anscheinend auf Lebenszeit für dieses Stück engagiert), die dieser höchst anspruchsvollen Klavier-Fassung in keinster Weise gewachsen ist. Welche Kraft und Faszination dieser Pas de Deux entfalten kann, wurde einmal bei einer Nijinsky-Gala deutlich, als Neumeier ihn von Orchester in der Originalversion begleiten ließ. Schade, dass das nicht zur Regel wurde – und sei es vom Tonband.

Anna Laudere füllt die beiden Frauenrollen ohne Mühe – mal stöckelt sie mit feinster Zickenhaltung über die Bühne, mal gibt sie die mondäne Dame. Der neu aus München ins Ensemble engagierte Karen Azatyan kommt immer mehr im Hamburger Stil an und passt mit seiner Klarheit sehr gut zu Hélène Bouchets feiner, langgliedriger Linie bei Aschenbachs Konzepten.

Dass das ganze tänzerisch glänzend auf die Bühne gebracht wurde und das Corps de Ballet ebenso gekonnt agierte, verstand sich fast schon von selbst. Großer Jubel in der voll besetzten Hamburgischen Staatsoper.
 

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