Für Gérard
Am 14. Dezember verstarb Gérard Lemaître, der seit 1960 eine Schlüsselfigur des Nederlands Dans Theaters war.
Jungen Tänzern eine Chance zu geben, ist höchst salonfähig in der internationalen Tanzszene. Älteren Tänzern dagegen legt man höchstens den Abschied nahe, wenn es der eigene Körper nicht rechtzeitig tut. Jiří Kylián, einer der legendären Ex-Choreografen von Nederlands Dans Theater, hat in seiner Amtszeit vehement dagegengehalten und tut es heute noch. Prägenden Anteil daran hat Sabine Kupferberg, einst NDT-Startänzerin und aktives Gründungsmitglied der ehemaligen Kompanie NDT 3, einem Zusammenschluss reifer Tänzerpersönlichkeiten weit jenseits der anvisierten 35 Lebensjahre. Sabine Kupferberg hat die 50 längst überschritten, aber Aufhören ist keine Alternative; auch nicht, nachdem das Projekt NDT 3 2006 eingestellt wurde.
Ihren Arbeits- und Lebenspartner Jiří Kylián weiß sie hinter sich – mit der Produktion „KYLWORKS“ wirft er seinen prominenten Namen noch einmal in den Theater-Ring und verspricht „Tänzer aller Altersklassen“ auf der Bühne zusammenzubringen. Dieses Versprechen wird nur zum Teil eingelöst – und es zeigt sich, dass die früher eher hinter vorgehaltener Hand geäußerte Skepsis gegenüber NDT 3 durchaus ihre Berechtigung hatte. Denn was dieser Gastspielabend in Ludwigshafen auf die Bühne brachte, waren doch mehr oder weniger alte Hüte – Stücke, die durch Wiederholung nicht unbedingt besser geworden sind.
Das einzige annähernd neue Eingangsstück (2011) sorgte sogar im soliden Pfalzbau für Buhrufe. Da beschränken sich zwei in Gold gewandte Tanzdiven auf artifizielle Synchronbewegungen im Sitzen; ihre Riesenroben bedecken die gesamte Bühne. Erst wird aus den Lautsprechern schön gesungen, dann gibt es immer wieder Einbrüche von kriegerischem elektronischen Krach (von „Anonymus“), während im Video die Damen gespenstisch verzerrt regelrecht zerfließen. Das soll Kylián zufolge die innere Welt der Darstellerinnen zeigen, aber selbst acht Minuten davon waren dem Publikum eindeutig zu viel – oder auch zu wenig. Ansonsten gab es das berühmte Duo „14‘ 20‘‘ aus dem Jahr 2007, dessen auf die Diskrepanz zwischen Aufführungs- und Gesamtvorbereitungszeit anspielt. Hier dürfen tatsächlich jüngere Darsteller am Werk, aber die Ästhetik dieses Stücks, in den dem die Tänzer am Ende jeder für sich vom Tanzteppich begraben werden, wirkte seltsam distanziert.
Ansonsten besteht die sechsköpfige Truppe aus verdienstvollen älteren Damen und Herren (in wechselnder Besetzung), die abschließend das leicht in die Jahre gekommene Stück „Birth-Day“ (2001) routiniert absolvierten. Das von Mozartklängen untermalte Geburtstagsdiner der fünfköpfigen Gesellschaft in Rokoko-Kostümen, deren Heimlich- und Peinlichkeiten per Video eingespielt werden, neigt sich doch sehr der Klaumaukseite zu. Dazwischen ein merkwürdiger Fremdkörper im Programm: „Car-Men“ aus dem Jahr 2006, ein surrealistischer 35minütiger Schwarzweiß-Film in Charlie-Chaplin-Manier über vier in der Wüste gestrandete Ex-Tänzer. Auch diese Arbeit ist eine Hommage an Sabine Kupferberg, die am Ende als veritable Carmen im Auto davonbraust.
Aber ist das alles genug an tragfähigem Konzept für einen ganzen Theaterabend? Es gibt durchaus alternative Ideen. Auch in anderen Kompanien dürfen in die Jahre gekommene Tanzstars immer mal wieder auf die Bühne und tragen durchaus zur Bereicherung bei; so hat man in Stuttgart der 70jährigen Marcia Haydée Rollen auf die längst nicht mehr so beweglichen Füße geschneidert.
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