Frauengeführtes Theater
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Übermütige „Giselle“-Fassung von Gustavo Ramírez Sansano in Luzern
Größer könnte der Kontrast nicht sein. Im Frühling dieses Jahres choreografierte Patrice Bart die legendäre „Giselle“ für das Ballett Zürich: Ganz nah am klassisch-romantischen Original, wie es 1841 in Paris uraufgeführt wurde. Mit grosser Kompanie, delikatem Spitzentanz und mystischer Atmosphäre.
In der „Giselle“, die der junge spanische Choreograf Gustavo Ramirez Sansano für das Ensemble „Tanz Luzerner Theater“ kreiert hat, ist alles anders. Die Ballettgruppe, winzig klein, umfasst nur 13 Tänzerinnen und Tänzer, davon drei Hospitierende. Statt klassisch wird zeitgenössisch getanzt, von Mystik kann keine Rede mehr sein. Die zauberhafte Musik von Adolphe Adam wird zwar auch in Luzern live gespielt (vom renommierten Luzerner Sinfonieorchester unter Boris Schäfer), aber stark gekürzt.
Den Inhalt hat Ramirez Sansano in die 68-er Bewegung des letzten Jahrhunderts versetzt, in die Zeit von Jugendunruhen und Gesellschaftskritik. Der 1.Akt spielt in der Redaktion einer Zeitung namens „Der Neue Merkur“. Dort trifft die Journalistin Giselle auf den Kollegen Albrecht. Die beiden flirten ungeniert im Großraumbüro und verbringen offenbar auch schon bald einmal eine Nacht zusammen. Jedenfalls tauchen sie eines Morgens beschwingt und glücklich in der Redaktion auf. Giselle umarmt ihre Kolleginnen freudetrunken. Derweil verschenkt Albrecht rundherum Blumen – Margeriten.
Doch schon schlägt das Schicksal zu. Der Geschäftsführer der Zeitung taucht auf, in Begleitung seiner Tochter Bathilde. Er verkündet, dass er Albrecht zum neuen Chefredakteur erkoren habe. Bathilde entpuppt sich als dessen Verlobte. Giselle rennt wütend davon und verirrt sich in einem Wald (Bühnenbild Luis Crespo, Kostüme Bregje van Balen).
Anders als im Ballett-Original ist aber auch Bathilde todbeleidigt und schickt Albrecht zum Teufel. Nun steht der Mann allein und dumm da. Ende des ersten Akts.
Getanzt wird ausschliesslich in zeitgenössischem Stil, obwohl das Luzerner Ballett wie auch der Choreograf Klassisch oder Neoklassisch könnten. Die Frauen in ihren poppigen Minikleidchen trippeln auf Schuhen mit kleinem Absatz, die Männer tragen Straßenkleidung. Mit Verve stürzen sich die Tänzerinnen und Tänzer ins Geschehen. Ihre Bewegungen sind eher eckig, dynamisch, bodenverhaftet, lebhaft vor allem in der Armen. Giselle (Aurélie Robichon) ist kein ätherisches, sondern ein selbstbewusstes und kräftiges Wesen; Albrecht (Eduardo Zúñiga) wirkt eher durchschnittlich, scheint aber Schlag bei den Frauen zu haben.
Der zweite Akt spielt – in einem Nonnenkloster! Dorthin hat sich Giselle gerettet. Sie zieht ihr weltliches Kleid aus - kurze Nacktszene im Dämmerlicht – und verwandelt sich in eine graue Novizin inmitten schwarz-weiss gekleideter Schwestern. Bei einem Einkauf trifft sie nochmals auf Albrecht, er bestürmt sie, doch will sie nicht zurück in die alte Welt.
Denn das Leben im Kloster ist auch nicht ohne! Oberin Myrtha ist ein verkleideter Mann. Die Schwestern, vier von ihnen weiblich, zwei männlich, treiben allerhand Schabernack. Der vorgesetzte Priester taucht mit einem Messdiener auf, ihr Umgang scheint mehr als vertraulich. Zwischendurch wird getanzt bis zum Umfallen.
Das ist alles recht lustig und originell. Die Kritikerin von tanznetz.de – also ich - war oft trotzdem not so amused über diese Comic-artige Luzerner „Giselle“. Was an Humor und Satire gewonnen wird, geht an Poesie verloren. Keine Geheimnisse, keine Romantik, keine Gefühle, wie sie die Musik von Adolphe Adam so üppig enthält.
Das Premierenpublikum war nichtsdestotrotz begeistert. Ein gestandener Bürger aus dem katholischen Luzern sagte beim Verlassen des Hauses zu seiner Begleiterin: „Ich habe im zweiten Akt Freudentränen gelacht“.
„Giselle“ im Theater Luzern, Uraufführung 25.9.2015
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