Ballett der Spitzenklasse
„Don Quixote“ live aus London in den Kinos
Das Londoner Royal Opera House beendete das Jahr mit einigen farbenfrohen Produktionen, die ältere und jüngere Zuschauer in verschiedene Phantasiewelten entführten: Neben William Tucketts charmanter Ballett-Pantomime „Wind in the Willows“ mit dem ehemaligen Royal Ballet-Solisten Martin Harvey als Ratty (noch vor wenigen Jahren ein bemerkenswerter Onegin und Kronprinz Rudolf in Kenneth MacMillans „Mayerling“) gab es eine inspirierte HipHop-Produktion von „The Mad Hatter’s Tea Party“ sowie Christopher Wheeldons abendfüllendes Ballett „Alice’s Adventures in Wonderland“.
Ein Wunderland schuf sich auch Carlos Acosta, selbst ein Starinterpret des Barbiers Basilio, mit seiner eigenen Inszenierung von „Don Quixote“, eine der ersten Großproduktionen seit dem Amtsantritt des neuen Royal Ballet-Direktors Kevin O’Hare im Jahr 2012. Es ging dem kubanischen Tänzer laut Programmheft darum, mit Stereotypen des Balletts zu brechen, den Klassiker aufzufrischen und ihn realistischer und zeitgenössischer zu gestalten.
Wer nach dieser Ankündigung eine radikale Neuschöpfung erwartet, hat sich allerdings getäuscht: Acostas im September 2013 uraufgeführte „Don Quixote“-Version unterscheidet sich stilistisch und strukturell nur minimal von anderen „konventionellen“ Fassungen des Werkes. Die Abweichung von der klassischen Ballettästhetik offenbart sich hingegen in Teilen der Ausstattung von Tim Hatley, beispielsweise in manchen schreiend glänzenden, gewagt kombinierten Kostümen und in der Visionsszene vor kitschig bunten Riesenblumen, in denen sich die Dryaden tummeln wie in einem Musical-Wunderland oder in einem Monty Python-Cartoon. Gelungener ist die bewegliche Stadtszenerie vor tiefblauem Himmel der Anfangs- und Schlusspassagen, die an manchen Stellen lückenlose Szenenwechsel erlaubt.
Acostas andere Innovationen, wie beispielsweise die Tänze auf Tischen, das Gitarrenkonzert auf der Bühne während der Zigeunerszene oder die gelegentlichen Jubelrufe des Corps de Ballet fallen kaum auf oder wirken irritierend, da sie die stilistische Einheit des Werkes stören – man fühlt sich an den französischen Tanzkritiker und „Giselle“-Librettisten Théophile Gautier erinnert, der die Verwendung von Sprache im Ballett mit einem gemalten Portrait vergleicht, auf dem eine gemeißelte Nase angebracht wird. Hier zumindest trägt die gelegentliche Verwendung von Gruppengeschrei nichts zum Werk bei und wirkt gezwungen.
Das Hauptaugenmerk liegt also auch in dieser „Don Quixote“-Fassung auf den virtuosen Tanzpassagen. In diesen beeindruckte an der Seite von Akane Takadas technisch solider Kitri vor allem Vadim Muntagirov, der in der letzten Vorstellung des Jahres sein Rollendebüt als Basilio gab. Er begeisterte durch seine souveränen Pirouetten und spektakulären Sprünge unter anderem seinen im Publikum sitzenden Rollenvorgänger Carlos Acosta und sorgte mit seiner Variation zum Schluss für einen tänzerischen Höhepunkt.
Das Orchester unter der Leitung von Tom Seligman ließ das Ballettjahr mit Minkus’ von Martin Yates neu arrangierter und orchestrierter Partitur schwungvoll ausklingen. Das neue Jahr wird tragischer mit Tschaikowsky eingeläutet, mit Aufführungen von „Onegin“ (John Cranko) und „Schwanensee“.
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