Es seufzt und kiekst
„Vielfalt“, „Ro Sad é“ und „Legítimo/Rezo“
Was will uns der Künstler damit sagen? So manche Performance erscheint rätselhaft, und Besucher wünschten, Fragen stellen zu können. Fabrice Mazliah und neun Mitglieder der bisherigen Forsythe Company haben aus dieser Fragestellung ein komplexes, spannendes und amüsantes Stück namens „In Act and Thought“ gemacht. Uraufführung war Anfang Juni in Dresden-Hellerau, an diesem Wochenende traten sie im Frankfurt LAB auf.
Man kennt das: Wir schauen auf dieselbe Vorstellung, aber von verschiedenen Standorten aus und bringen jeweils unterschiedliche Kenntnisse und Erfahrungen mit. Das Reden darüber macht unterschiedlichste Wahrnehmungen deutlich. Aus diesem Riesenpuzzle an Eindrücken und Meinungen entsteht auf der Bühne mal heilloses Chaos, mal spannend Neues. Ob wortreiche Erklärungen immer hilfreich sind, darüber mag man geteilter Meinung sein, denn nichts führt zu größeren Missverständnissen als Sprache, erst recht wenn es nicht die eigene ist. „In Act and Thought“ kommt daher wie ein Tanz-Workshop mit Lecture-Performances, die Zuschauer sind mittendrin im Geschehen, wenn auch passiv.
Mazliah war selbst Mitglied der Forsythe Company, geht seit längerem eigene Wege als Choreograf und Tänzer, hat mit Ioannis Mandafounis und May Zarhy das erfolgreiche Trio MAMAZA gegründet. Nun hat er die letzte Auftragsarbeit der alten Forsythe Company übernommen, bevor Jacopo Godani in der neuen Spielzeit mit einer komplett neu besetzten Company loslegt.
Während Forsythe seine Erforschung von Bewegungsmöglichkeiten eher auf den einzelnen Körper konzentrierte, hat Mazliah dieses Bestreben nach Grenzauslotung in die Gemeinschaft übertragen. Einer fängt eine Bewegung an, die eine Kollegin weiterführt. Die Fußbewegung stammt eigentlich vom Nachbarn, während die Handbewegung von der Kollegin auf der anderen Seite des Raums herrührt. Das Kopfwackeln kommt von einem Dritten, während das eigene Sternum in einem anderen Körper schwingt. Das stellvertretende Handeln wird so weit getrieben, bis niemand mehr Herr oder Frau des eigenen Körpers ist. Deswegen muss auch so viel erklärt werden.
Der Grund für die Sitzanordnung im Achteck wird bald klar, die dazwischen befindlichen „Säulen“ entpuppen sich als schwarze Vorhänge, die in dem fast zweistündigen Stück eine wichtige Rolle spielen. Sie werden munter auf- und zugezogen, bilden beim ersten Mal geschlossene Raumkompartimente, in denen die jeweiligen Zuschauerblöcke isoliert sind. Einiges ist hörbar aus den benachbarten „Räumen“, hauptsächlich aber starrt man schaut auf schwarze Vorhänge und wartet.
Einzeln betreten die Performer die Abteile und erläutern auf Englisch die Konzepte (etwa: versuchen auf dem Kopf zu gehen), machen wort- und gestenreiche Erklärungen zu Nichtigkeiten (wie dem Sockenausziehen) oder geben stillschweigende Bewegungsbeispiele (etwa Tierbewegungen). Die Performer wechseln, doch die intime Situation bleibt. Wenn die Vorhänge schließlich stückweise und versetzt aufgezogen werden, nimmt man erstaunt die anderen Zuschauer wahr, betrachtet sie neugierig, wozu auch die großen herumgetragenen Spiegelwände anregen. Manche schauen wie gebannt, andere irritiert oder amüsiert, manche wirken auch müde, auf Dauer jedenfalls.
Die Varianten des Vorhängebewegens sind erstaunlich, sie geben den Pausen Raum, machen Wind und am Ende ist sogar eine Skulptur entstanden. Die Soundcollagen reichen von Vogelzwitschern bis Meeresrauschen, vom Metallkreischen bis zum Herzpochen. Zusammen mit all dem gleichzeitigen Reden steigert es sich zu einer Kakophonie der Geräusche, die Einzelwahrnehmungen unmöglich macht. Dann ist wieder Stille. Selbstredend sind Pause und Abgang in die Performance einbezogen. „In Act and Thought“ ist empfehlenswert für Menschen, die an den Übersetzungsmöglichkeiten von Körper und Sprache interessiert sind.
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