Addicted to Balanchine
Stefano Giannetti choreografiert „Die Vier Jahreszeiten“ am Pfalztheater Kaiserslautern
Einer der ganz zuverlässigen in der deutschen Ballettszene hat sich entschlossen seinen Choreografen- und Direktorenstuhl aufzugeben, scheinbar ohne Grund und nach „nur“ acht Jahren, die Unkündbarkeitsklausel durch die manchem Kollegen der Rauswurf drohte, kann ja wohl noch kein Grund sein einem funktionierenden Ensemble an einem Durchschnittstheater den Rücken zu kehren? Als ich noch für die Bundesagentur tätig war, hatte ich guten Kontakt mit Stefano und auch später. Wo immer wir uns trafen war es, als hätten wir uns gestern zuletzt gesehen. Aber einmal fiel ich ihm um den Hals anlässlich des Tanzkongresses, als der Arme mir leise sagte: „Ich glaube, du verwechselst mich mit meinem Bruder, ich bin Mauricio.“ Natürlich war mir das kurz peinlich, denn ich kannte ihn auch aus Berlin, wo er das Pädagogen-Seminar der Royal Academy bei Sabine Roth absolviert hatte, aber die beiden waren sich so ähnlich! Dann haben wir kräftig gelacht und Mauricio ist inzwischen nach Italien zurückgekehrt.
Nachdem Stefano mir angekündigt hatte, dass er Kaiserslautern verlassen würde, habe ich mich aufgemacht und seine Hommage an Maurice Ravel angeschaut, die, begleitet vom Orchester des Pfalztheaters aus ästhetischer Sicht nichts zu wünschen übrig ließ. Wunderbar zueinander passende Stücke von Ravel hat er aneinandergereiht, als wenn der Komponist selbst seine Hand im Spiel gehabt hätte. Vom Feinsten und edel kommt dieser Abend daher, wie zum Beispiel „Les Biches“, das zwar Poulenc als musikalische Grundlage hat, aber die Atmosphäre einer Gesellschaft, die etwas gelangweilt unterschwellig Spielchen treibt, hat der Choreograf uns da serviert.
Es wäre aber ungerecht, ihn nun auf Bronislava Nijinska festzulegen, er hat seine eigene Sprache und auf Spitze wird bei den Gesellschaftsspielchen auch nicht getanzt. Man kann aber durchaus auch mal an Kontakthof denken, ohne dass er sich vorwerfen lassen müsste, dass Pina sein großes Vorbild gewesen sei. Bei solchen Gesellschaften sind halt die etwas gelangweilten Abläufe nicht immer vermeidbar, obwohl weder Champagner noch Abendkleider die Szene beherrschen, sondern eher Kostüme, die auch bei „Jeux“ vorkommen könnten, und das wieder hat Debussy zur Grundlage.
Was sehen wir daran? Der Choreograf und seine musikalischen Vorbilder, haben auch keineswegs voneinander abgeschrieben, sondern einen Trend der Zeit aufgenommen, wenn sie ihn nicht sogar miterfunden haben. Und so ist es auch einem heutigen Zeitgenossen nicht zu verdenken, dass sich solche Assoziationen einschleichen, sowohl bei denen hinter dem Vorhang als auch im weichen Polstersessel im Parkett.
Als Höhepunkt und Abschluss des sonst wohltemperierten Programms war der „Bolero“ vorgesehen. Ausgerechnet hier bleibt das gute Ensemble weit hinter den Erwartungen zurück, denn sie tanzen diese sich langsam zu einem musikalischen Höhepunkt hochschaukelnde Musik weiter mit gebremstem Schaum und die Klimax bleibt aus, auch wenn alle zu Boden gehen.
In der Pause hatte ich Gelegenheit, mich mal ein wenig mit dem Spielplan des Pfalztheaters auseinander zu setzen, und ich denke, dass Stefano nicht ganz Unrecht hat, wenn er sich darüber beklagt, dass das Musiktheater mit Musical, Operette und Spieloper auf die Unterhaltungsseite gerutscht ist, was auch durch das künstlerisch bescheidene Fotomaterial im Aushang unterstrichen wird. Da liegt die Ballettkompanie nicht im Trend, sondern ist zwei Nummern anspruchsvoller und wurde fraglos beim Publikum in einer gut besuchten Vorstellung an einem sonnigen Sonntagnachmittag mit lang anhaltendem Applaus belohnt.
Ich glaube nicht, dass man sich um einen Mann wie Stefano Giannetti Sorgen machen muss, ein Choreograf mit einer solchen Biographie, der als Tänzer bei Festival Ballet in London und an der Deutschen Oper Berlin als Solist triumphierte in virtuosen Rollen und dann dort zu choreografieren begann und als Gast unter anderem in Dresden und in Verona, was ich gesehen habe, die „ Zwei Herren aus Verona“ zu einem großen Erfolg brachte, so dass es bei den folgenden Festspielen wieder aufgenommen wurde. Ich glaube im Gegenteil, er hätte vielleicht schon früher seinen Hut nehmen sollen und das Risiko eingehen ein anderes Haus zu finden. Aber nicht zu jeder Zeit möchte man sich diesem Druck aussetzen, auch dafür habe ich größtes Verständnis.
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