Leere des Herzens
Die getanzte und gesungene Poesie der „Liebe“ von toaspern | moeller
Das Festival „Luxival“ präsentiert im Leipziger LOFFT Tanz aus Luxemburg
Drei atemberaubende Kurzstücke waren angekündigt für den ersten von zwei Festivalabenden. Den Atem verschlug es einem nicht an diesem Abend, eher wohl die Sprache angesichts solcher Beiträge, denen es vor allem an dramaturgischer und choreografischer Kraft mangelte, ganz zu schweigen von so üblichen wie beliebigen und austauschbaren Sounds, die entweder zugespielt oder wie beim ersten Beitrag live geliefert wurden.
„Mayu“ nennt Yuko Kominami ihre Darbietung. In eigener Choreografie gestaltet sie Rückzugsbilder mit zirzensischen Körperqualen, indem sie sich in das für uns unsichtbare Gehäuse eines Kokons quält. Leider sind die wenigen Entfesselungen nicht gerade von überzeugender Lebenskraft, so dass sich nur annähernd erschließen konnte, dass es sich um „eine Reise über den Fluss des Lebens“, wie das Programmheft erklärt, handelte.
„IF I“ nennt der Tänzer Giovanni Zazzera sein ebenfalls selbst choreografiertes Solo. Zunächst heftet er Zettel an die hintere Bühnenwand, die aber alle wieder abfallen. Auf jedem ist ein schwarzer Pfeil abgebildet – eine Ausnahme muss sein, deshalb gibt es also auch einen roten. Sollten dies Richtungsweiser sein, dann sind die Kategorien in schändlichster Verwirrung, der junge Mann kann einfach keine Entscheidung darüber fällen, in welche Richtung es gehen soll. Also kommt er nicht voran. Es sollen ja bekanntlich viele Wege nach Rom führen, doch auch in einem so kleinen Land wie Luxemburg kann man sich offensichtlich verlaufen, da hilft vielleicht eher ein Kompass als der Tanz. Allerdings blitzen immer wieder Momente von tänzerischer Kraft in diesem Beitrag auf.
Annick Pütz nennt ihr ebenfalls selbst choreografiertes Solo „Hüllen“ und hat sich dafür in eine solche aus elastischem Textil begeben. Mal ist sie gänzlich verhüllt, dann geben Öffnungen den Blick frei auf Körperpartien, dann wieder verwandelt sich das gesichtslose Wesen in eine abstrakte Plastik. Eine halbe Stunde Kampf mit der zweiten Haut ist sicherlich für die Protagonistin von existenzieller Bedeutung, warum allerdings ein solch introvertierter Selbstfindungsversuch vor Publikum absolviert wird, erschließt sich nicht.
Drei Hilferufe sind das. Zwei Möglichkeiten gäbe es, sie zu erhören: der Tänzer versucht es mit einem Kompass, die Tänzerinnen mit einem guten Freund oder einer Freundin, bei gutem Essen und belebenden Getränken.
Doch es geht auch anders. Der zweite Abend des Festivals gehört dem Tanz und im Nu fliegen die Herzen im wiederum total ausverkauften Theater den zwei Tänzerinnen und den drei Tänzern der Kompanie von Bernard Baumgarten zu. „Rain“ heißt seine Choreografie, nach eigenem Konzept zu Musik von Emre Sevindik, die sich zunächst aus einem Madrigal entwickelt, dem kunstvollen Satz stets verpflichtet bleibt, nicht nebenher läuft, sondern immer wieder mit dem Tanz und vor allem mit dem gestalteten Raum der Bühne verblüffende Klangkorrespondenzen entstehen lässt. Die Rückwand und die Seiten des Raumes sind von luftigen, leicht und beweglich gehängten, fast durchsichtigen Bahnen aus Plastikfolie begrenzt. So ist der sichtbare Raum von nicht sichtbaren, aber zu ahnenden Räumen unbestimmter Weite umgeben. Mit der totalen Offenheit zum Saal und dem Publikum wird geschickt und immer wieder in heiterer Gelöstheit gespielt.
In feinsinniger Abstimmung wechseln Szenen für die Gruppe, Soli, Duette oder spannende Dreierkonstellationen und in fließenden Übergängen tauchen Tänzer, die wir zuvor schemenhaft erahnen konnten, aus jenen anderen Räumen kommend auf und verflüchtigen sich dahin auch wieder. Das Stück ist bestimmt von Annäherungen und Distanz, ohne dass sich die Körper der Tänzer berühren. So sensibel wie tänzerisch raffiniert ist dabei die Choreografie eines Kusses, bei der sich die Lippen der Küssenden untrennbar aneinander haften. Auf Synchronvariationen folgen Sprünge von artistischer Vehemenz, dabei verwenden sie Zitate neoklassischer Tanzkunst und brechen diese mit gegenwärtigen Motiven aus der Breakedance-Szene.
Wir hören den Tanz bei völliger Dunkelheit. Die Musik nimmt die Melodien und Rhythmen der Körper auf und Baumgarten spannt einen so dynamischen wie poetischen Bogen von der Wahrnehmung ambivalenter Stimmungen vor dem Regen bis zum erlösenden Wolkenbruch. Dann prasselt und donnert es, und wir erleben wie diese Wohltat der Natur die Köper der Tänzer regelrecht aufblühen lässt, was zu Szenen von heiterer und spielerischer Gelöstheit führt.
Jennifer Gohir, Léa Tirabasso, Jorge Saler Bastia, Grégory Beaumont und Loïc Faquet sind diese wunderbaren Tänzerinnen und Tänzer mit den offenen Gesichtern und der umwerfenden Präsenz, sensibel und voller Kraft, die in den Kostümen von Trixi Weis von Zeljko Sestak und Brice Durand ins Licht gestellt und vom begeisterten Publikum im Leipziger LOFFT mit ihrem Choreografen Bernard Baumgarten euphorisch gefeiert werden.
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