Übergänge
Über zeitgenössisches Choreografieren: Douglas Lee und Goyo Montero im Interview
Robert Norths „Petruschka/Offenbach“ in Mönchengladbach
Bis zum deutsch-französischen Krieg um 1870 feierte der gebürtige Kölner Jacques Offenbach in Paris Triumphe mit seinen spritzigen opéras bouffes. Vier Jahrzehnte später provozierten die Ballets Russes ebendort Skandale mit avantgardistischen Balletten wie „Der Feuervogel“, „Petruschka“ und „Le Sacre du Printemps“ auf Igor Strawinskys sehr neu tönende Musik. Offenbach contra Strawinsky – Tanz als Vehikel für einen Hahnenkampf zweier komponierender Genies der „leichten Muse“ einerseits und des Widerstands gegen die Langeweile stereotypen klassischen Balletts andererseits – was für ein Thema!
Robert North, der das Andenken an Heidrun Schwarz am Niederrhein, ihrer letzten Wirkungsstätte, so wunderbar verwaltet, hatte die grandiose Idee. Aber dann zerflatterte alles in der engmaschigen Routine heutigen Theateralltags in der Provinz. Das beginnt schon mit dem unsäglichen Arbeitstitel und der Abfolge der zwei Choreografien. Als Zugpferd steht „Petruschka“ vor der Pause auf dem Programm. Die kleine Jahrmarktrivalität von Harlekin und Mohr um die schöne Ballerina erzählt North als sowjetischen Krimi: Petruschka ist ein Dissident mit Bombe in der Hosentasche, der Mohr ein KGB-Agent, die Ballerina beider harmloses Liebchen in fröhlichem Commedia dell‛arte Kostüm. Das versteht man aber nur nach der Lektüre des wunderbaren kleinen Programmheftes, das Dramaturgin Regina Härtling und Fotograf Matthias Stutte attraktiv und inhaltsreich gestaltet haben.
Drum herum um die Protagonisten tanzen „drei russische Jungen“ in blau, „drei russische Mädchen“ in rot, acht „neureiche Männer und Frauen“ in grau, zwei Zigeunerinnen in gelben Fetzenkleidern – und dann noch drei niedliche Dorfmusikantinnen, ein tapsiger Bär im Offiziersmantel (ein bisschen weniger furchterregend als „Väterchen Stalin“) und ein doppelgesichtiger Scharlatan (von vorn Großväterchen, von hinten Tod). Bauklötze, die sich schnell verschieben lassen, und ein Stuhl mit Leiterrücklehne, drei weiße Wände, an denen die Marionetten zu Beginn und am Schluss schlaff baumeln können, bevölkern mit den wackeren Tänzerinnen und Tänzern die Bühne. Die Akteure hüpfen, springen, rucken und zucken sehr artig synchron und reichlich stereotyp. Die Protagonisten tun‛s ihnen nach. Kinderkram – leider.
Nicht viel anders geht‛s nach der Pause weiter. Nur ist das Personal in „Offenbach“ nun auch noch maskiert und dekorativ drapiert, damit man weiß, wer Diaghilev sein könnte (der mit dem Kugelbauch: Fabio Toraldo), Strawinsky (der mit dem Schal voller weißer und schwarzer Klaviertasten um den Hals: Raphael Peter), Picasso (der im Streifenhemd mit Palette und Pinsel: Giuseppe Lazzarra) oder Jean Cocteau (der Geck mit der weißen Jacke, rot bemalt mit Augen, Lippen etc: Karine Andrei-Sutter). Herr Offenbach ist ein flitzender Kobold (Paolo Franco), den „die Seele von Paris“ – ein rosa Elflein (Karine Andrei-Suter) – mütterlich durch diese neue Welt begleitet. Rodins Kuss wird vertanzt, vor dem Pastellgemälde des schiefen Eiffelturms flanieren Frauen und Soldaten, impressionistische Damen und allerlei Künstlervolk. Die Niederrheinischen Sinfoniker unter Alexander Steinitz geben den flotten Takt vor – meist Offenbach, zum Schluss die weniger bekannten Quatres Études von Strawinsky, als die beiden Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts sich ein erbittertes Duell mit Taktstöcken liefern. Das hat was. Davon sähe man doch gern mehr – und erst anschließend als Krönung sozusagen den nunmehr im musikalischen Olymp herrschenden Strawinsky mit seiner „Petruschka“. Aber ach... zu schade um die verpulverte Chance, zwei grandiose kulturgeschichtliche Epochen kontrapunktisch in Szene zu setzen. Tänzer und Zuschauer jedenfalls hätten viel mehr drauf als dieser Abend ihnen abverlangt.
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