Kein Sommernachtstraum für Othello

In Mönchengladbach kombiniert Robert North zwei sehr verschiedene Shakespeare-Stoffe

Mönchengladbach, 14/02/2009

Am 17. August 1949 choreografierte der Mexikaner José Limon in New York das Stück, um dessentwillen er in den Olymp der Ballettschöpfer aufgenommen wird: „The Moor’s Pavane“. Die Essenz von Shakespeares „Othello“-Tragödie, des Mohren unberechtigte, in seiner Außenseiterrolle begründete rasende Eifersucht, ist in eine Form gegossen, wie sie knapper kaum denkbar ist. Vier Personen, zwei Paare, treten an zu einem rituellen Tanz, hinter dessen formale Kühle die heißen Emotionen brodeln. Auch der Brite Robert North, in der zweiten Spielzeit Ballettdirektor der Bühnen von Krefeld und Mönchengladbach am Niederrhein, hat die „Othello“-Tragödie jetzt zu einem Quartett komprimiert. Doch anders als Limon, der die Paare Othello-Desdemona und Jago-Emilia aufbietet, auf das männliche Objekt von Othellos Eifersucht verzichtet und das von Desdemona verlorene Taschentuch eine Hauptrolle spielen lässt, spielt North das Drama (ohne das Taschentuch) mit drei Männern und einer Frau, und die Affäre zwischen Desdemona ( eine sehr handfeste Elisa Rossignoli) und Cassio (Emmerich Schmollgruber), die Jago (Erdiz Erguc) dem Othello (Razvan Craciunescu) nur einflüstert, lässt er – zu Benjamin Brittens Frank Bridge-Variationen – den Zuschauer im Mönchengladbacher Theater beobachten: wenn auch nur andeutungsweise und nur im Schattenriss.

Den großen Faltenwurf der Tragödie, wie sie Limon – durchaus auf dem Niveau des elisabethanischen Dramatikers – gelingt, gibt North mit seiner Konstellation aus der Hand. Sein „Othello“ begibt sich vielleicht nicht gleich auf den Boulevard. Doch bekommt die Tat bei North etwas Alltäglich-Banales. North holt sie aus den Sphären der großen Literatur und macht sie zu einem Vorfall aus dem Polizeibericht und den vermischten Nachrichten: Eifersüchtiger Mann erwürgt (möglicherweise) untreue Ehefrau. Dabei steht außer Frage, dass das Dramolett handwerklich gut gearbeitet und erstklassig getanzt ist – eine Feststellung, die übrigens für den kompletten Abend gilt, in dem der gerade mal 25 Minuten dauernde „Othello“ nur den Anfang macht. Tatsächlich hat North für das neue Programm seines Ensembles den „Othello“ mit einem zweiten Shakespeare-Stoff, dem „Sommernachtstraum“, kombiniert: eine auf den ersten Blick absonderliche Zusammenstellung, die letztlich aber, dank der Harmlosigkeit beider Choreografien, nicht mehr ins Gewicht fällt.

Den „Othello“ lässt North auf praktisch leerer Bühne spielen, mit lediglich einem schmalen, hellen Spalt, auf dem Othellos eifersüchtige Vorstellungen sichtbar werden, in einem dunklen Hintergrund. Für den „Sommernachtstraum“, den Graham Jackson am Pult der Niederrheinischen Sinfoniker mit Felix Mendelssohn-Bartholdys Schauspielmusik begleitet, hat sich der Choreograf von Andrew Storer eine ausladende Phantasie-Eiche bauen lassen, die die gesamte Bühne überwölbt. Als Auslöser für das Geschehen im Zauberwald, das die Abgründe menschlicher Sexualität nicht einmal ahnen lässt, hat North einen angedeuteten Seitensprung des Elfenkönigs Oberon (Gian Luca Multari) installiert, auf den seine Frau Titania (Silvia Behnke) mit einer zickigen Verweigerung reagiert. Die beiden Athener Liebespaare (Karijne Andrei-Suter/ Aliaksandr Rulkevich und Ligia Craciunescu/Gökce Sönmemis) benötigen für ihre Auftritte ebenso wenig einen Grund wie die (weiblichen) vier Handwerker, die in anderer Kostümierung auch die Elfen geben und mit Antal Dobsal als Zettel einen prächtigen, sprunggewaltigen Anführer haben, der auch als Esel und im Spiel mit der verliebten Titania eine gute Figur macht. Der eigentliche Herrscher im Athener Zauberwald aber ist der quirlige Puck des Giuseppe Lazzara, der dem König Oberon nur pro forma untertan scheint, in jeder Situation alles im Griff hat und letztlich auch für ein multiples Happyend sorgt. Getanzt wird die gutgelaunte Petitesse, neoklassisch auf flachen Sohlen, durchweg erstaunlich gut; das Ensemble der Vereinigten Bühnen von Krefeld/Mönchengladbach, schon zu Zeiten der viel zu früh gestorbenen Heidrun Schwaarz zu den erfreulicheren Ballettkompanien der Republik zählend, hat unter Robert North und seiner Ballettmeisterin Sheri Cook noch einmal einen deutlichen Sprung nach vorn getan.
 

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