Strawinsky contra Offenbach unterm Eiffelturm
Robert Norths „Petruschka/Offenbach“ in Mönchengladbach
Casanova – Abenteurer, Glücksritter und Weltenbummler, zärtlicher Verführer und begnadeter Geschichtenerzähler, Geigenvirtuose und Wunderheiler, Philosoph und Spieler, Soldat und Spion… Das leichtfüßige Universalgenie ist der personifizierte Barock. In kongenialer „konzertierter Aktion“ setzen Choreograf Robert North, GMD Graham Jackson und Ausstatterin Luisa Spinatelli mit „Casanova“ ein Mosaik barocken Lebensgefühls zusammen.
Er habe, schrieb der unsterbliche Frauenheld in seiner sechsbändigen „Geschichte meines Lebens“ (1784-98), „niemals ein bestimmtes Ziel im Auge gehabt“, sich vielmehr immer nur „von Wind und Wellen treiben lassen“. Vom heimatlichen Venedig bis nach Paris, London und Istanbul ist er gereist. Einige wenige optische Akzente und viel herrliche Musik der jeweiligen Region erzählen seine Geschichte. Mit 33 betörend charmanten Kurzszenen vor, hinter und zwischen zarten Gazevorhängen eines Commedia dell’Arte - Theaters zaubern Tänzer und Musiker Liebeslust und Lebenskunst im Europa des 18. Jahrhunderts auf die Bühne.
Venezianischer Karneval: Masken in schwarzen, wallenden Capes umschwirren den quirlig-heiteren, blutjungen Casanova (Gian Luca Multari) und seine Freunde. Zwei Schönheiten (Giada Rigoli und Alicia Fossati) bieten sich dem Neugierigen an – Cupido (Paolo Franco) hilft nach. Eine Commedia dell’Arte - Wandertruppe sorgt für Kurzweil in einer besonders pfiffig-fröhlichen Szene mit hohen Sprüngen und köstlicher Pantomime! Ein markiger orientalischer Fürst (enorm ausdrucksvoll: Alessandro Borghesani) führt den Neuling in geheime Welten ein: nicht Haremsdamen, sondern Feen wie Botticellis Grazien mit fließenden cremefarbenen Gewändern, rauben ihm zu Glucks „Reigen seliger Geister“ den Atem. Daheim entkommt er nur knapp aus den Bleikammern der Inquisition, die seinen Lebenswandel misstrauisch beschattete.
Höfische Feste erlebt er in Paris. Eine Diva mit der Aura einer antiken Tragödin in großer barocker Robe schmachtet ihn an. Molières „gelehrte Frauen“ tuscheln und diskutieren, mit den Löffeln der Schokoladentassen wichtigtuerisch gestikulierend. Die dazu gehörenden Herren buhlen um Aufmerksamkeit mit allerlei gewagten Sprüngen, durchaus sehr ähnlich den sportiven Figuren aus Norths Meisterwerk „Troy Game“. Arme Leute kreuzen den lebenslustigen Weg des Italieners in London. Im Freudenhaus lenkt er sich ab – eine köstlich derbe Szene ist das! Während der alternde Beau über seinen Memoiren einschläft, umringt ihn im Traum ein Dutzend Pulcinellas. „Träumerei und Lachen“ heißt dieses Finale zum bekannten Rondo aus Hummels Trompetenkonzert.
Was für ein gelungenes „Ballett-Konzert“ mit vielen solistischen Höhepunkten der vorzüglichen Niederrheinischen Sinfoniker: Philipp Wenger geigt furios Sätze aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, Bettina Landmann und Angélique van Duurling (Flöte) erfreuen mit Gluck, Tomislav Novak (Oboe) mit Marcello, Ansger Brinkmann (Trompete) mit Hummel. Das Leben als rauschendes Fest, als großes Theater – mit viel zauberhafter, raffiniert einstudierter Pantomime, wo die Tanztechnik nicht langt. Nur dem etwas hölzernen, langen Multari fehlt es ganz und gar an sinnlicher oder gar erotischer Ausstrahlung. Sei’s drum. Dieser Ballettabend im prosaischen Notquartier vis à vis vom Fußballstadion (das Opernhaus wird saniert) ist weit mehr als die sprichwörtliche Tugend aus der Not, sondern ein meisterlich kurzweiliges Gesamtkunstwerk.
www.theater-krefeld-moenchengladbach.de
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